Eine Frau fährt um die Welt

Die Abenteuer der Berlinerin Heidi Hetzer

Fotocredit Vivian J. Rheinheimer

Mit der Erinnerung ist es so eine Sache – im kollektiven Gedächtnis verblassen selbst besondere Ereignisse oft recht schnell. Auch die Abenteuer einer kleinen Berlinerin, die nicht das Herz auf der Zunge hatte, mutig und unerschrocken war. Ihr zu Ehren gingen im Juli zum sechsten Mal rund 130 Oldtimer auf der berühmten Avus an den Start. Eine Erinnerung an Heidi Hetzer.

Fotocredit Vivian J. Rheinheimer
Fotocredit Vivian J. Rheinheimer

Emanzipation unter der Hebebühne

Rückblende in den Sommer 1937: Heidi kommt als zweite Tochter des Fahrzeughändlers Siegfried Hetzer in Berlin zur Welt. Die Liebe zu Fahrzeugen und der Marke Opel wird ihr in die Wiege gelegt. Sie wird ihr ein Leben lang verbunden sein. Im elterlichen Betrieb macht sie 1954 als eine der ersten Frauen eine Kfz-Mechaniker-Lehre. Es ist die pure Wissbegierde: Sie will begreifen, wie das Auto funktioniert, nicht nur darüber reden. Doch trotz ihrer Sachkenntnis wird sie überall „nur“ als die Tochter Hetzers gesehen. Eine Frau unter der Hebebühne ist damals wenig akzeptiert.

Verlieren gilt nicht!

Kurzerhand nimmt das umtriebige Mädchen ihr Leben selbst in die Hand, verdient sich eine Mark nach der anderen, um mit dem Ersparten eine Autovermietung zu gründen. Ende 1969 verstirbt ihr Vater und hinterlässt seine Firma im angeschlagenen Zustand. Mit ihrer einjährigen Tochter unter dem Arm tritt sie das schwere Erbe an, und schafft eines der bekanntesten Autohäuser Berlins. Ihr unternehmerisches Motto: „Siege, wenn du kannst. Verliere wenn du musst. Kapituliere nie!“

Zuhause auf der Avus

Gelernt hat Heidi Hetzer das schon früh im Sport, hinterm Lenkrad fühlt sie sich am wohlsten. Mit 17 ging sie mit ihrem Lambretta-Roller bei der Gelände-Fahrt „Rund um die Müggelberge“ an den Start, absolvierte tapfer zehn Runden im Schlamm und Dreck. Zum zweiten zuhause wird ihr die Berliner Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße, kurz: Avus. Dort geht sie 1957 mit in einem Goggomobil an den Start, donnert mit 85 km/h durch die geklinkerte Steilkurve. Als der Vater 1966 von ihrem Rennen auf der Avus in einem seiner Opel-Vorführwagen aus der Zeitung erfährt, hagelt es eine Moralpredigt. Doch von ihrer Leidenschaft kann sie das nicht abbringen.

Jede Rallye ein Abenteuer

1978 landet sie während der Rallye „Tour d´Europe“ sogar im Gefängnis, Heidi Hetzer war auf dem Weg nach Ankara mit einem anderen Wagen kollidiert. Nur eine von vielen Geschichten ihrer zahllosen Abenteuer, die von der „Rallye Monte Carlo“ über die „Düsseldorf – Shanghai“ bis zur „Carrera Panamericana“ führen. Der Motorsport lehrt sie das Kämpfen. Sich auf das Ziel zu konzentrieren, nicht ablenken zu lassen und pünktlich zu sein, das sind auch Tugenden fürs Leben. Sie weiß, dass sie als Frau in einer von Männern dominierten Auto-Welt stets strenger bemessen wird.

Von wegen altes Eisen

2012 verkauft Heidi Hetzer das 93 Jahre alte Familienunternehmen. Sie selbst ist 75 und fühlt sich noch lange nicht als altes Eisen. Vielmehr treibt es sie auf die Spuren Clärenore Stinnes, eines ihrer großen Vorbilder. Die Tochter des Großindustriellen war 1927 im Alter von 26 Jahren auf Weltreise gegangen – im Auto, versteht sich. So besorgt sich Heidi einen imposanten Hudson Greater Eight, den sie liebevoll „Hudo“ nennt und bricht im Sommer 2014 zur Weltumrundung auf. Ihre Teilzeit-Beifahrer verschleißt sie dabei schneller als sie das Ventilspiel des Motors nachstellen muss. Aber „Hudo“ ist treu.

Fotocredit Vivian J. Rheinheimer

Jubel am Brandenburger Tor

Sie selbst wird zum Symbol für einen unerschütterlichen Optimismus. Egal, was kommt, ob sie im laufenden Motor einen Finger verliert, an Krebs erkrankt oder ausgeraubt wird – für sie geht es immer irgendwie weiter. Und sie schafft es tatsächlich um die Welt: Nach fast drei Jahren auf der Straße, steht Heidi Hetzer im März 2017 unter tosendem Beifall der Zuschauer wieder vor dem Brandenburger Tor in Berlin.

Fotocredit Vivian J. Rheinheimer

Die letzte große Fahrt

Etwas ruhiger ist sie geworden, weiß jeden Tag zu schätzen und schreibt ein Buch über ihre große Reise: „Ungebremst Leben“. Obwohl sie nicht mehr ganz so rastlos ist, durchquert sie ab Winter 2018 in einem Geländewagen nochmals Afrika. Es wird ihre letzte Fahrt sein, im April 2019 stirbt sie bei einem Heimatbesuch. Aber vergessen ist sie nicht.

Der Berg ruft

Das fantastische Comeback des Glasbachrennens.

Bild: mepictures – Marcus Möller

Morgens, an einem Samstag mitten im Juni. Leichter Regen küsst den Asphalt. Am Fuße des kleinen Örtchens Steinbach in Thüringen quietschen die Räder eines Ford Escort RS 1600 BDA. Der Cosworth-Motor des Hundeknochen-Escort heult auf, die kleine Ampel schaltet auf grün und schon geht die Post ab. Mittendrin im 26. Internationalen Glasbachrennen!

Bild: mepictures – Marcus Möller

Rennsport, zum Greifen nah

Auf den nächsten 5,3 Kilometern warten 35 Kurven und 250 Höhenmeter auf das Kölner Auto mit dem englischen Herzen. Wie an der Seilbahn zieht der Ford kreischend den Berg hinauf. Eine zackige rechts-links Kombination und die einzige Schikane auf der Strecke ist überwunden. Die Zuschauer am Streckenrand sind beeindruckt, als der rechte Radlauf dabei den zur Barriere aufgebauten Reifenstapel leicht touchiert, Streckenposten eilen zum Aufräumen. Kaum später zischen Fahrer und Bolide mit 91 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit über die Ziellinie. 3:30:826, so die Zeit, die aus den Lautsprechern schallt und schon quietscht es aufs Neue an der Startlinie.

Die Tradition lebt wieder auf

Seit 1974 wird am Rennsteig das längste Bergrennen Deutschlands ausgetragen. Damals, im September, erlebten über 6.000 Besucher die Läufe zur DDR-Meisterschaft. Und schnell wurde es internationaler auf der anspruchsvollen Strecke. Fahrer aus dem Ostblock duellierten sich mit Berg und Stoppuhr. Doch nach der Wende stoppten der marode Asphalt und eine ungenügende Streckensicherung vorerst den Rennbetrieb. Die Ortschaft Steinbach, direkt an der Bergrennstrecke liegend, wollte sich dem Verfall der Geschichte nicht ergeben. In einer neu gegründeten Rennsportgemeinschaft, dem Altensteiner Oberland e.V. rund um die Vorsitzenden Markus Malsch und Thomas Weih wurde der Grundstein für die Wiederbelebung der Rennstrecke gelegt.

Bild: mepictures – Marcus Möller

Die modernste Piste Europas

Als ein Umzug der Piste nötig wurde, schaffte man zusammen Großes. In unzähligen Arbeitsstunden und mit der Unterstützung des Freistaates Thüringen und dem ADAC, wurde nicht nur Deutschlands längste Bergrennstrecke am Glasbach entwickelt, sondern auch die modernste Europas. Der wahre Kern des Pudels liegt aber in den Steinbachern selbst. Ausgestattet mit großen Herzen, unbändiger Leidenschaft und einer Gastfreundschaft, die ihresgleichen sucht, strahlt das Bergdorf die Liebe zum Motorsport in die Welt hinaus. Alles ist auf den Beinen!

Bild: mepictures – Marcus Möller

Die Garage wird zum Fahrerlager

Anwohner räumen emsig ihre eigenen Carports und Garagen, um den amateursportlichen und semiprofessionellen Rennteams ein Fahrerlager zu schaffen. In den schmalen Gassen des Dorfes, wäre es dafür auch schlichtweg zu eng, 145 gemeldete Rennwagen brauchen Platz. Soviel, dass man die Rennstrecke um 200 Meter einkürzt, um im Ziel am Rennsteig alle Fahrzeuge unterbringen zu können – Rekord in der Geschichte des Rennens! Und weil mehr Autos noch mehr Spaß versprechen, starten neben den Teilnehmern der Berg-Europameisterschaft auch die Fahrer und Fahrerinnen des luxemburger sowie österreichischen Berg-Cups, des NSU-Bergpokals und dem historischen Lauf.

Bild: mepictures – Marcus Möller

Ein Formel-1-Pilot als Schirmherr

Bergrennen heißt volle Konzentration. „Anders als auf der Rundstrecke, hast Du eben nur einen Versuch. Machst du einen Fehler, kostet dich das die Platzierung“, resümiert Ex-Formel-1-Pilot und RTL-Kommentator Christian Danner. Er ist Schirmherr der Veranstaltung und das ganze Wochenende vor Ort. Das Bergrennfieber hat ihn längst gepackt, auch wenn der Münchner selbst nur ein einziges Bergrennen in seiner vielfältigen Karriere absolviert hat: „Aber das hier, ist Motorsport zum Anfassen. Man spürt die pure Leidenschaft aller, die hier sind“. Dabei blitzen seine Augen, er grinst, gibt unzählige Autogramme und verschwindet wieder Richtung Strecke. Der Berg ruft!

Bild: mepictures – Marcus Möller

Ein Kühlschrank auf Rädern: die BMW Isetta

Keine Frage, die BMW Isetta war damals das, was heute als cool gilt. Samt ihrer Herkunft.

(Fotos: BMW Group)

Die Experten der zentralen Klassikabteilung der GTÜ in Stuttgart und vor Ort besitzen die notwendige Expertise für Klassiker aller Art. Dabei greifen sie auf fundiertes Wissen und eine umfangreiche, qualifizierte Datenbank zurück. Weil es viele spannende Aspekte zur Historie der verschiedenen Old- und Youngtimer gibt, veröffentlicht das Magazin KRAFTHAND in loser Folge exklusive Einblicke ins Archiv der Sachverständigenorganisation. Diesmal geht es um die BMW Isetta.

Als Wirtschaftswunder über die Alpen

Geschichten aus der deutschen Wirtschaftswunderzeit zeigen oft die Route über den Brenner, auf der bunte Käfer, Goggomobile oder Maico-Roller munter der Sonne gen Süden entgegenfuhren, meist den Gardasee im Visier. Zur illustren Blechmischung auf den Alpenpässen zählt auch die BMW Isetta. Doch das Motocoupé trat seinen Erfolgsweg genau entgegengesetzt an – von Italien nach München.

Ein Stück italienische Lebensfreude rollt nach Deutschland

Mit Kühlschränken fängt alles an

Renzo Rivolta erwarb 1939 in Bresso nahe Mailand zunächst eine Herstellung für Kühlmittelanlagen namens Isothermos. Als die Geschäfte schleppender liefen, sattelte er auf die Produktion von Rollern und kleinen Motorrädern um. Im Namen an alte Traditionen anknüpfend, wurden sie Isomoto und Isoscooter genannt, verfügten über 125 ccm – ein rollendes Dolce Vita. Den Markt der kleinen Mobilität hatte auch BMW nach dem Zweiten Weltkrieg im Blick, ein Zweirad mit Dach erschien den Münchnern markttauglich. Renzo Rivolta lieferte 1954 mit der Iso Isetta die perfekte Lösung. Sein Motocoupé wirkte wie eine kleine Raumkapsel und ging sogar bei der Mille Miglia an den Start, wo es sofort zum Publikumsliebling wurde. Rivolta und BMW fanden sich zu einer Lizenzvereinbarung zusammen.

Die Isetta bekommt die Kurve, auch bei Bergrennen

Der große Durchbruch der kleinen Isetta

Am 5. März 1955 war es soweit – in München rollte die erste BMW Isetta vom Band. Den Nachnamen durfte sie stolz aus ihrer italienischen Familie fortführen, das zweigetaktete Herz hinter der Sitzbank tauschte sie gegen ein Spenderherz mit vier Takten und 12 PS der BMW R25. Die Stahlblechkarosse wurde auf einen Rohrrahmen gesetzt, die beiden Hinterräder standen so eng beieinander, dass man auf ein Differential verzichten konnte. Die kühlschrankartige Fronttür nahm das Lenkrad auf, das beim Öffnen und Einsteigen wegklappte, und so wog das ganze Gefährt nur 350 kg und beschleunigte auf satte 85 km/h.

Sieht nicht aus wie ein BMW, ist aber einer

Der Trick mit dem Faltdach

Diejenigen, die bisher bei Wind und Wetter den Weg zur Arbeit auf Rollern und Mopeds bestritten, waren begeistert, ein Dach über dem Kopf und beinahe ein richtiges Auto zu haben. Das Faltdach der Isetta war dabei nicht mal ein luftiges Extra für Sonnenliebhaber, sondern Pflichtprogramm, denn der deutsche Gesetzgeber schrieb vor, dass man ein Auto im Fall der Fälle durch zwei Ausstiege verlassen können muss. Da die Isetta ja nur die Fronttür bot, konnte man sie im Ernstfall so auch über das Dach verlassen – nur eben ohne Schleudersitz.

Selbst Familien entfalten sich unter dieser Dachkonstruktion

Eine Idee fährt um die Welt

Ende 1956 entwickelte BMW eine durchgehende Dachlinie und verbesserte viele Details, womit sich die Isetta nun immer deutlicher von ihrem Urahn unterschied. Bis zum Mai 1962 baute BMW ziemlich genau 161.728 Exemplare und verhalf der Isetta zu Ruhm und Erfolg. Dass Vélam in Frankreich, Iso España in Spanien, Isetta of Great Britain in England und Indústrias Romi in Brasilien den Lizenzbau ebenfalls umsetzten, ist dagegen eher unbekannt.

Mikro-Autos liegen wieder im Trend

Schließlich wurden die Leute anspruchsvoller, die Beladungsmöglichkeiten waren nicht ausreichend und die Zeit der Mikro-Autos ging langsam zu Ende. Die Kundschaft verlangte nach richtigen Limousinen, das konnte auch die „große Isetta“, der BMW 600 mit zweiter Sitzbank und zusätzlicher seitlicher Tür, nicht mehr aufhalten. Wenn wir heute über neue Mobilität reden, spielen kleine Autos wieder eine größere Rolle. Die Isetta wäre absolut stadttauglich.

Kleine Autos in der Stadt kommen wieder groß in Mode

Dieser Beitrag ist erstmals im Magazin Krafthand vom 25. Juli 2020 erschienen, den ausführlichen Artikel lesen Sie hier