Der Lebenslauf des Autos: 90 Jahre Kfz-Brief

Das sollte künftig alle Daten über Fahrzeuge und ihre Halter sammeln

Mit der abgeschnittenen Ecke endet das amtliche Leben des Autos

„Ungültig“ steht da, mit lila Stempelfarbe auf den graugrünen Einband aus Pappe gedrückt. Ohne Zweifel, der gute alte Kraftfahrzeugbrief ist Geschichte, denn schon 2007 hat ihn die EU-Zulassungsbescheinigung Teil II abgelöst. Aber das heißt nicht, dass er für Oldtimer-Fans keine Rolle mehr spielt. Im Gegenteil, viele von ihnen freut es sehr, dass nicht nur ihr altes Auto oder Motorrad überlebt hat, sondern auch der dazugehörige Kfz-Brief. Der ist nicht weniger als der Lebenslauf eines Klassikers: Im besten Fall dokumentiert er noch nach Jahrzehnten, an welchem Tag ein Fahrzeug das Werk verließ, wie der Erstbesitzer hieß und wie viele Halter es nach ihm gab. In der Regel steigert es sogar den Marktwert, wenn der alte Brief noch da ist: Endlich mal ein Stück Bürokratie, von dem der Oldtimer-Fan etwas hat!

Im Frühjahr 1972 kommen ein neues Layout und der Name Fahrzeugbrief

Stichtag im Mai 1934

Es ist erstaunlich, wie wenig die Oldtimer-Szene heute über die Geschichte des Dokuments weiß. Weder das Kraftfahrtbundesamt noch das Bundesverkehrsministerium können auf Anfrage etwas dazu sagen, auch die Bundesdruckerei als jahrzehntelanger Produzent des fälschungssicheren Papiers muss passen. Immerhin wissen wir, dass die ersten Kfz-Briefe vor genau 90 Jahren ausgegeben wurden, am 1. Mai 1934. Und ein Blick ins Archiv verrät, dass es vorher wild zugegangen sein muss mit den Dokumenten im deutschen Autohandel.

Der graugrüne Einband lässt Oldtimer-Fans vom Pappdeckel-Brief sprechen, hier ein frühes Exemplar von 1938

Sicherheit für Autokäufer

„Die Verhältnisse des Kraftfahrzeugmarkts hatten zu Zuständen geführt, die ein Einschreiten des Staates notwendig machten“, heißt es rückblickend im Jahr 1951, als der Deutsche Bundestag die Gründung des Kraftfahrt-Bundesamts beschließt. Das sollte künftig alle Daten über Fahrzeuge und ihre Halter sammeln, so wie es vor 1945 schon das Reichsverkehrsministerium in Berlin getan hatte. Über die Notwendigkeit des Kraftfahrzeugbriefs gibt es in der jungen Bundesrepublik keine Diskussion, weil er unabhängig von allen politischen Einflüssen vor allem Sicherheit für Autokäufer und den Handel schafft.

Auch beim Hersteller muss jeder Stempel-Abdruck sitzen, hier der Brief eines Borgward Hansa 1500 Isabella von 1954

Diebe haben es schwerer

Natürlich gibt es auch vor 1934 schon polizeiliche Kennzeichen und einen Fahrzeugschein, den die lokalen Behörden ausgeben. Aber ein staatliches Dokument, das wie ein Ausweis zum Auto gehört, existiert ebenso wenig wie die überregionale Erfassung der Daten. Diebe haben leichtes Spiel, wenn sie Autos mitgehen lassen und an gutgläubige Schnäppchenjäger verkaufen. Mit dem Kraftfahrzeugbrief wird das schwieriger, denn das kleine DIN-A5-Heft dokumentiert, wer als Halter eingetragen ist.

Ein Brief geht auf Reisen

„Man kaufe kein Kraftfahrzeug, bei dem die Papiere nicht in Ordnung sind, insbesondere der Kraftfahrzeugbrief nicht gleich ausgehändigt werden kann“, heißt es in einer Autozeitschrift von 1936. Insbesondere die Banken begrüßen das amtliche Dokument, sie legen es als Sicherheit in den Safe, bis der Kunde seine letzte Kreditrate überwiesen hat. Der Brief geht also tatsächlich auf Reisen, daher der eigentümliche Name. Jeder einzelne Haltereintragung wird bis in die Fünfziger von der zentralen Behörde geprüft, von Hand in die Kartei übertragen und per Stempel bestätigt – ein irrer Aufwand.

Der Kraftfahrzeugbrief begleitet das Auto sein Leben lang – und so sieht er nach Jahrzehnten auch aus

Sechs Besitzer sollen reichen

Bis zum Frühjahr 1972 noch stehen die Berufe im Kraftfahrzeugbrief, manchmal finden sich dort skurrile Tätigkeiten wie Seifensieder, Kapellmeister oder Zeitungskolporteur, erst danach trägt die Zulassungsstelle stattdessen das Geburtsdatum ein. Das Dokument heißt jetzt offiziell Fahrzeugbrief, ist nicht mehr in Pappe gebunden und lässt sich auch von den Computersystemen großer Zulassungsstellen bearbeiten. Was bleibt, sind die Felder für sechs unterschiedliche Halter, die oft, aber nicht immer für ein ganzes Autoleben reichen. Die amtliche Existenz endet stets mit der Entwertung des Briefs, dem bei der Zulassungsstelle die rechte Ecke abgeschnitten wird.

Amtliche Lektüre für Nostalgiker

Es soll Automobilia-Sammler geben, die in alten Pappdeckel-Briefen lesen können wie in einem Roman. Schrauber suchen mehr nach seltenen Einträgen von stärkeren Motoren, größeren Rädern und Sportauspuffanlagen. Auch bei der Vollabnahme durch die GTÜ-Experten kann heute ein alter Brief nützlich sein.

Mut-Ausbruch in Wolfsburg

Der VW Golf wird 50 Jahre alt

Die Geschichte des VW Golf beginnt 1969 mit dem EA 276, dessen Käfer-Motor die Vorderräder antreibt. Auch eine große Heckklappe hat der EA 276 schon.

Die VW-Mitarbeiterzeitung „Autogramm“ titelt schockierend: „Wolfsburg ohne Autos: eine tote Stadt.“ Eine apokalyptische Vorstellung, auch wenn sie 50 Jahre zurückliegt. Doch genau so ist damals die Stimmung beim größten deutschen Autobauer: Der Käfer lahmt und lahmt und lahmt, die Inlandsabsätze brechen weg, Volkswagen macht 800 Millionen Mark Verlust im Jahr. Es geht um alles oder nichts – ein kleines Auto mit kantiger Karosserie und kugelrunden Scheinwerfern muss es richten. Am 29. März 1974 läuft die Serienproduktion des VW Golf an. Und dann boomt das Modell so gründlich, dass er nicht nur den Käfer alt aussehen lässt, sondern auch die moderneren Mitbewerber. Den Spagat aus Variabilität, Vernunft und Vergnügen, keiner beherrscht ihn vor 50 Jahren so gut wie der fahraktive und doch komfortable Golf.

Mit dem Golf zeigt VW endlich klare Kante – und lässt den Käfer über Nacht uralt aussehen. Gemeinsam haben sie nur die runden Scheinwerfer.

Ein Revoluzzer mit Rostproblem

Sicher, erst mal müssen sich die Bewohner der Bonner Republik an den Golf gewöhnen. Jahrelang hat ihnen die VW-Werbung eingetrichtert, dass sich weder die Eiform des Käfers noch der luftgekühlte Heckmotor verbessern ließen. Außerdem ist der Golf nicht nur fast 40 Zentimeter kürzer als der Käfer, er gehört auch zur neuen Generation der Leichtbau-Autos, deren dünnblecherne Anmutung den Argwohn der Qualitätsfanatiker weckt. Tatsächlich macht es der frühe Golf den Skeptikern leicht, weil er anfangs fürchterlich rostet. Auch das ist übrigens ein Problem, das auf die leeren Kassen in Wolfsburg zurückgeht, denn aus Kostengründen nimmt Volkswagen die neue Lackieranlage des Golfs ohne Versuchsanlauf in Betrieb.

Piëch baut den ersten Anti-Käfer

Anders als später kolportiert, dämmert es VW-Generaldirektor Heinrich Nordhoff schon in den Sechzigern, dass sich die Weltkarriere des Käfers dem Ende zuneigt. Bereits im Sommer 1966 gibt er bei Porsche die Entwicklung eines Nachfolgers in Auftrag. Verantwortlich dafür ist in Zuffenhausen der junge Ingenieur Ferdinand Piëch, der ein fahrdynamisch talentiertes Schrägheck-Auto mit flachem Mittelmotor und 1,02 Meter langem Ölpeilstab entwickelt. Parallel dazu vergibt Nordhoff kurz vor seinem Tod im Jahr 1968 noch Entwicklungsaufträge an Audi in Ingolstadt und seine eigenen Ingenieure in Wolfsburg. Dort sind sich die Entwickler und Vertriebler nicht wirklich einig über das Modell der Zukunft. Schließlich siegt der Entwurf der Niedersachsen, der Motor stammt aus dem Audi-Prototypen. Bei der Namensgebung lässt Volkswagen später bewusst offen, ob es sich um eine Verwandtschaft zum Golfstrom oder zum Golfspiel handelt.

Von Anfang an gibt es den Golf auch als Viertürer. Die herumgezogenen Kunststoff-Stoßstangen trägt der Bestseller aber erst ab Sommer 1978.

Mit 110 PS gegen die Bedenkenträger

Viel wichtiger ist es, dass die Marke Volkswagen „nicht mehr für das Beharren auf einem Kurs“ steht, wie die Marketingleute damals verkünden: „Kein Kompromiss behindert uns, keine Ideologie, kein eingefahrener Gedankenweg“. Auch die Kunden verstehen das, Ende 1974 klettert der Golf auf Platz 1 der deutschen Zulassungsstatistik. Der Erfolg macht VW mutig genug für das Powerplay des GTI. Es gibt viele Bedenken gegen einen 110 PS starken Kompakten, der über 180 km/h läuft, doch das kann den Triumph des GTI nicht aufhalten: Während der VW-Vorstand an eine Stückzahl von höchstens 5000 Exemplaren glaubt, werden es schon im ersten Jahr über 50.000 sein.

Golf Diesel: Sparsam statt spassarm

Noch viel besser kommt ab 1976 der Golf Diesel an: Der erinnert beim Kaltstart zwar an eine Rüttelplatte, doch er ist das einzige Auto seiner Klasse, mit dem sich Verbräuche im Fünf-Liter-Bereich erzielen lassen. Und Spaß macht er auch noch, denn „die dieseltypische Behäbigkeit fehlt völlig“, wie das Fachblatt auto motor und sport erstaunt feststellt. Kein Wunder, dass bald jeder zweite Golf das Kennzeichen D trägt.

Wo sind sie geblieben?

Heute ist der 50 PS schwache Golf D der Baujahre 1976 bis 1980 ein seltenes Auto: Nur noch etwas mehr als 300 Stück sind hierzulande zugelassen, wie die Enthusiasten von der 1. Original Golf 1 Interessengemeinschaft ermittelt haben. Der erste Turbodiesel namens GTD ist sogar nur noch 160mal auf unseren Straßen unterwegs. Selbst der früher massenhaft verbreitete 70-PS-Golf macht sich als Klassiker mit 2200 Zulassungen rar. Die Restaurierung eines Ur-Golf gilt wegen der vielen kleinen Modelländerungen übrigens als komplexe Aufgabe für Auskenner. Das Auto, das damals Wolfsburg am Leben hält und die halbe Republik befördert, ist heute ein Sammlerstück für ausgeprägte Individualisten.

Nicht nur von außen ist der Golf ein fortschrittliches Auto. Sein modernes Cockpit sieht eher nach BMW als nach VW aus.

Die Geschichte vom Pferd.

Classic News im Blog: Der Ford Mustang wird 60.

1964 Mustang Convertible (Werkfoto)

Heute ist es ziemlich leicht, einen typischen Ami der frühen Sechziger cool zu finden. Doch die jungen Autokäufer sahen das anders, als die fetten Ford Fairlane, Chevrolet Impala oder Plymouth Fury damals in den US-Schauräumen standen: Sie wollten nicht dieselben V8-Schiffe wie ihre Daddys fahren. Sondern Autos, die jünger, vitaler und individueller wirken. Blöd nur, dass sowas kein amerikanischer Hersteller im Programm hatte. So beginnt sie, die Heldengeschichte des Ford Mustang. Und wie wir heute wissen, hat sie auch nach sieben Modellgenerationen und über zehn Millionen produzierten Autos noch kein Ende gefunden.

Am Anfang steht ein Geheimnis

Es ist nicht nur ein Boom, den der Mustang im Frühjahr 1964 auslöst, es ist eine regelrechte Hysterie. Die ganze USA fiebert dem neuen Modell entgegen, das der zweitgrößte Autohersteller der Welt am 6. Februar 1964 lediglich mit einer schütteren Pressemeldung ankündigt. „Die Ford Division hat heute bestätigt, dass sie in diesem Frühjahr eine neue Fahrzeugreihe einführen wird“, heißt es darin. „Die neue Fahrzeugreihe wird Mustang heißen. Bis zur öffentlichen Vorstellung werden keine weiteren Details bekannt gegeben.“

1964 Mustang – Henry Ford II

Einmal durch die Weltgeschichte

Tatsächlich folgt jedoch kein Schweigen, sondern eine der aufwendigsten Markteinführungs-Kampagnen der US-Autogeschichte. Es beginnt schon damit, dass Ford den Mustang nicht wie damals üblich im Herbst vorstellt, sondern im Frühling: Clever. Denn damit gibt es keine Konkurrenz, die dem neuen Auto die Show stehlen könnte. Zudem startet der Konzern eine gigantische Werbekampagne mit Anzeigen, die in 2600 US-Zeitungen erscheinen, sowie einminütigen TV-Spots, die jeweils über 29 Millionen Zuschauer erreichen. Nicht weniger Aufsehen erregt die offizielle Präsentation des Ford Mustang am 17. April 1964: Sie findet auf der New Yorker Weltausstellung statt, wo Ford einen eigenen Pavillon bespielt. Im gläsernen Tunnel setzen sich die Besucher in Mustang Convertibles, anschließend schiebt sie ein Laufband durch ein Phantasieland voller Szenarien, die nicht weniger als die Geschichte der Erde nachstellen.

1964 Mustang – Anzeige 2368 USD

Käufer schlafen im Schauraum

Bei den Ford-Händlern kommt es derweil zu tumultartigen Szenen, die in die Marketing-Geschichte eingehen. In Seattle ist ein Lkw-Fahrer so geblendet vom Anblick des Mustang, dass er seinen Truck durch die Glasfront des Schauraums steuert. In Garland, Texas, versteigert ein Verkäufer den Vorführwagen unter 15 Interessenten; der Höchstbieter übernachtet in seinem Auto, bis die Bank das Geld überwiesen hat. Und in St. Johns, Neufundland, vergisst der Ford-Verkäufer Harry Phillips, dass er das weiße Vorführ-Cabrio gar nicht verkaufen darf, weil es zur handgedengelten Vorserie gehört. Eigentlich will Ford den Mustang mit der Fahrgestellnummer 00001 zurück, doch auch für einen Automulti gelten Verträge: Erst im März 1966 rückt der Käufer das historisch wertvolle Stück wieder heraus – im Tausch gegen den einmillionsten Mustang mit Vollausstattung.

Ein Langweiler macht den Mustang möglich

Am Ende ist es natürlich die Ford Motor Company, die das beste Geschäft von allen macht. Je nach Quelle hat der Konzern zwischen 35 und 75 Millionen US-Dollar in die Mustang-Entwicklung investiert, das ist ein Bruchteil der Summe, die der Konzern üblicherweise für ein neues Modell ausgibt. Möglich macht es ausgerechnet das langweiligste Modell der Ford-Palette, der 1959 präsentierte Falcon, der die technische Basis für den Mustang liefert und damit dessen Kampfpreis sichert. Nur 2368 Dollar kostet der günstigste Mustang, doch er sieht mit seinem europäisch wirkenden Traumwagen-Design mindestens doppelt so teuer aus: Das ist das eigentliche Erfolgsgeheimnis des Jahrhundert-Autos, mit dessen Konzept sich der damalige Ford-Vizepräsident Lee Iacocca ein ewiges Denkmal setzt. Und dann sind da noch die vielen Extras, mit denen sich das Massenauto wie ein Manufakturprodukt individualisieren lässt:  Sechs unterschiedliche Motoren, 17 Lackfarben und 72 Extras lassen keinen Mustang wie den anderen dastehen – und saugen jedem Käufer im Schnitt nochmal 1000 Dollar aus den Taschen.

1960 Falcon – 1964 Mustang

Kein Ford verkauft sich besser

Schon Abend des 17. April 1964 sind 22.000 Kaufverträge unterschrieben, die geplante Jahresproduktion von 100.000 Autos ist nach drei Monaten weg. Am Ende des ersten Jahres sitzen über 418.000 Amerikaner im neuen Mustang. Und 1966 ist das Rekordjahr, in dem Ford über 600.000 Exemplare des Kultwagens baut. Kein anderer Ford verkauft sich so gut, auch die fetten Fairlane und Galaxie nicht. Es ist eben ganz leicht, den Mustang cool zu finden, daran wird sich in 60 Jahren nichts ändern. Und dass es nicht mal eine Frage des Alters ist, wissen wir heute auch – aus einer riesigen Sammlerszene, die Mustang-Fans aller Generationen miteinander verbindet.

1964 Mustang, Anzeige, Weltausstellung