Mut-Ausbruch in Wolfsburg

Der VW Golf wird 50 Jahre alt

Die Geschichte des VW Golf beginnt 1969 mit dem EA 276, dessen Käfer-Motor die Vorderräder antreibt. Auch eine große Heckklappe hat der EA 276 schon.

Die VW-Mitarbeiterzeitung „Autogramm“ titelt schockierend: „Wolfsburg ohne Autos: eine tote Stadt.“ Eine apokalyptische Vorstellung, auch wenn sie 50 Jahre zurückliegt. Doch genau so ist damals die Stimmung beim größten deutschen Autobauer: Der Käfer lahmt und lahmt und lahmt, die Inlandsabsätze brechen weg, Volkswagen macht 800 Millionen Mark Verlust im Jahr. Es geht um alles oder nichts – ein kleines Auto mit kantiger Karosserie und kugelrunden Scheinwerfern muss es richten. Am 29. März 1974 läuft die Serienproduktion des VW Golf an. Und dann boomt das Modell so gründlich, dass er nicht nur den Käfer alt aussehen lässt, sondern auch die moderneren Mitbewerber. Den Spagat aus Variabilität, Vernunft und Vergnügen, keiner beherrscht ihn vor 50 Jahren so gut wie der fahraktive und doch komfortable Golf.

Mit dem Golf zeigt VW endlich klare Kante – und lässt den Käfer über Nacht uralt aussehen. Gemeinsam haben sie nur die runden Scheinwerfer.

Ein Revoluzzer mit Rostproblem

Sicher, erst mal müssen sich die Bewohner der Bonner Republik an den Golf gewöhnen. Jahrelang hat ihnen die VW-Werbung eingetrichtert, dass sich weder die Eiform des Käfers noch der luftgekühlte Heckmotor verbessern ließen. Außerdem ist der Golf nicht nur fast 40 Zentimeter kürzer als der Käfer, er gehört auch zur neuen Generation der Leichtbau-Autos, deren dünnblecherne Anmutung den Argwohn der Qualitätsfanatiker weckt. Tatsächlich macht es der frühe Golf den Skeptikern leicht, weil er anfangs fürchterlich rostet. Auch das ist übrigens ein Problem, das auf die leeren Kassen in Wolfsburg zurückgeht, denn aus Kostengründen nimmt Volkswagen die neue Lackieranlage des Golfs ohne Versuchsanlauf in Betrieb.

Piëch baut den ersten Anti-Käfer

Anders als später kolportiert, dämmert es VW-Generaldirektor Heinrich Nordhoff schon in den Sechzigern, dass sich die Weltkarriere des Käfers dem Ende zuneigt. Bereits im Sommer 1966 gibt er bei Porsche die Entwicklung eines Nachfolgers in Auftrag. Verantwortlich dafür ist in Zuffenhausen der junge Ingenieur Ferdinand Piëch, der ein fahrdynamisch talentiertes Schrägheck-Auto mit flachem Mittelmotor und 1,02 Meter langem Ölpeilstab entwickelt. Parallel dazu vergibt Nordhoff kurz vor seinem Tod im Jahr 1968 noch Entwicklungsaufträge an Audi in Ingolstadt und seine eigenen Ingenieure in Wolfsburg. Dort sind sich die Entwickler und Vertriebler nicht wirklich einig über das Modell der Zukunft. Schließlich siegt der Entwurf der Niedersachsen, der Motor stammt aus dem Audi-Prototypen. Bei der Namensgebung lässt Volkswagen später bewusst offen, ob es sich um eine Verwandtschaft zum Golfstrom oder zum Golfspiel handelt.

Von Anfang an gibt es den Golf auch als Viertürer. Die herumgezogenen Kunststoff-Stoßstangen trägt der Bestseller aber erst ab Sommer 1978.

Mit 110 PS gegen die Bedenkenträger

Viel wichtiger ist es, dass die Marke Volkswagen „nicht mehr für das Beharren auf einem Kurs“ steht, wie die Marketingleute damals verkünden: „Kein Kompromiss behindert uns, keine Ideologie, kein eingefahrener Gedankenweg“. Auch die Kunden verstehen das, Ende 1974 klettert der Golf auf Platz 1 der deutschen Zulassungsstatistik. Der Erfolg macht VW mutig genug für das Powerplay des GTI. Es gibt viele Bedenken gegen einen 110 PS starken Kompakten, der über 180 km/h läuft, doch das kann den Triumph des GTI nicht aufhalten: Während der VW-Vorstand an eine Stückzahl von höchstens 5000 Exemplaren glaubt, werden es schon im ersten Jahr über 50.000 sein.

Golf Diesel: Sparsam statt spassarm

Noch viel besser kommt ab 1976 der Golf Diesel an: Der erinnert beim Kaltstart zwar an eine Rüttelplatte, doch er ist das einzige Auto seiner Klasse, mit dem sich Verbräuche im Fünf-Liter-Bereich erzielen lassen. Und Spaß macht er auch noch, denn „die dieseltypische Behäbigkeit fehlt völlig“, wie das Fachblatt auto motor und sport erstaunt feststellt. Kein Wunder, dass bald jeder zweite Golf das Kennzeichen D trägt.

Wo sind sie geblieben?

Heute ist der 50 PS schwache Golf D der Baujahre 1976 bis 1980 ein seltenes Auto: Nur noch etwas mehr als 300 Stück sind hierzulande zugelassen, wie die Enthusiasten von der 1. Original Golf 1 Interessengemeinschaft ermittelt haben. Der erste Turbodiesel namens GTD ist sogar nur noch 160mal auf unseren Straßen unterwegs. Selbst der früher massenhaft verbreitete 70-PS-Golf macht sich als Klassiker mit 2200 Zulassungen rar. Die Restaurierung eines Ur-Golf gilt wegen der vielen kleinen Modelländerungen übrigens als komplexe Aufgabe für Auskenner. Das Auto, das damals Wolfsburg am Leben hält und die halbe Republik befördert, ist heute ein Sammlerstück für ausgeprägte Individualisten.

Nicht nur von außen ist der Golf ein fortschrittliches Auto. Sein modernes Cockpit sieht eher nach BMW als nach VW aus.