Ein Sechszylinder für die Ewigkeit

Classic Monday im Blog: Großes Jubiläum bei Ford

Mit dem Ford 20 M beginnt vor 60 Jahren eine neue Mittelklasse-Ära: Sechs Zylinder sind kein Privileg der Oberschicht mehr. Foto: Ford

Geht ein Motor in die Geschichte ein, ist oft technische Raffinesse im Spiel, man denke nur an den Doppelnocker von Alfa Romeo. Auch die schiere Größe kann ein Triebwerk unvergesslich machen, so ist es beim 6,9-Liter-V8 von Mercedes. Es kann aber auch ein Geräusch sein, dafür spricht das Boxergeprassel des Käfers. Und manchmal reicht es auch, wenn man von einem Motor fast gar nichts hört. Das schafft im September 1964 der V6 von Ford. In einer Welt voller Vierzylinder demonstriert er den Kindern des deutschen Wirtschaftswunders, was Laufkultur bedeutet.

Eine leise Revolution

„Bis zum Bereich der Höchstgeschwindigkeit gibt es kein Brummen und kein Vibrieren“, staunen damals sogar die Tester von „auto motor und sport“. Und dieses erhabene Fahrgefühl können sich jetzt auch Arbeiter und Angestellte leisten, nicht nur deren Chefs. Das ist vor 60 Jahren eine Revolution. Der Ford 20 M steht mit volkstümlichen 7990 Mark in der Preisliste, er ist damit nur 900 Mark teurer als der vierzylindrige 17 M. Die Differenz entspricht einem mittleren Monatsgehalt oder einem Schwarzweiß-Fernsehgerät. Doch das haben die meisten Deutschen ohnehin schon in ihren Teakholz-Wohnzimmern stehen, weshalb der Ford 20 M auf Anhieb zum Bestseller wird.

Der Ford 20 M Turnier hat vor 60 Jahren keine Konkurrenz zu fürchten – denn es gibt nur diesen einen Sechszylinder-Kombi auf dem deutschen Markt. Foto: Ford

Er bricht alle Rekorde

Beinahe 200.000 Exemplare wird Ford in den Jahren 1964 bis 1967 los, kein Sechszylinder verkauft sich hierzulande besser. Der leise V6 sitzt danach auch im 20 M der Nachfolge-Generationen, er säuselt im Prunkmodell 26 M und zieht 1969 in den Coupé-Trendsetter Capri ein, ist ab 1970 im Knudsen-Taunus zu haben und macht ab 1972 den Granada populär. Selbst im glupschäugigen Scorpio der späten Neunziger ist er noch zu finden. Bis 2011 treibt er außerdem amerikanische Ford-Modelle wie den Mustang und den Explorer an. Am Ende seiner langen Karriere hat er alle Rekorde gebrochen – mit einer Gesamtstückzahl von 14.217.473 Exemplaren.

Alle großen Dinge sind einfach

Natürlich ist es kein Hightech-Motor, der da vor sechs Jahrzehnten die Mittelklasse revolutioniert. Der V6 baut zwar kurz, ist aber nicht besonders leicht. Neben dem Motorgehäuse und den Zylinderköpfen besteht auch die Kurbelwelle aus Grauguss. Der Kostendruck des Großkonzerns führt zur eigenwilligen Anordnung der Auslassventile: Die beiden vorderen Zylinder teilen sich jeweils einen Auslasskanal, weshalb der Sechszylinder mit vier Krümmern auskommt. Die Nockenwelle rotiert zwar noch unten im Motorblock, ist aber recht hoch eingebaut und macht damit immerhin kurze Stößelstangen möglich. Das hilft, denn die Nennleistung von 85 PS fällt erst bei 5500/min an, was deutlich über dem Drehzahlniveau anderer Sechszylinder liegt.

Der V6 ist eine einfache und günstige Konstruktion – und genau darin liegt ihr Erfolg. Das Schnittbild zeigt die 2,3-Liter-Version des Ford Granada.
Foto: Ford

Ein Kind der Krise

Leistungsexzesse sind nicht vorgesehen, als der V6 bei Ford in Amerika entsteht, auch das gehört zu seiner Erfolgsgeschichte. Eigentlich geht es den Entwicklern in Dearborn anfangs nur darum, den Siegeszug des VW Käfer auf dem nordamerikanischen Markt zu stoppen. Eine Wirtschaftskrise hat den Appetit der Amis auf kleine Autos geweckt, deshalb entsteht bei Ford ab 1959 der 1-PF-4, später Cardinal genannt, ein Kompakter mit Frontantrieb und Vierzylinder in V-Form, wie sie amerikanische Käufer schon von den großen Achtzylindern gewöhnt sind.

Kettenreaktion in Köln

Anfangs experimentieren die Ford-Techniker mit einem Zylinderwinkel von 20 Grad, dann wird ein 60-Grad-V4 daraus. Ein zusätzliches Zylinderpaar macht ihn zum kompakten V6, der sich auf derselben Fertigungsstraße produzieren lässt.  Kurz darauf stellt sich allerdings heraus, dass der neue Kompakte in den USA zu wenig Käufer finden würde, weshalb Ford den Cardinal kurzerhand nach Köln abschiebt. Am Rhein löst das Kuckucksei aus Übersee eine Kettenreaktion aus, denn der Cardinal kommt dem 17 M im damaligen Badewannen-Design bedrohlich nah. Dessen nächste Modellgeneration muss größer und schwerer werden, um den Abstand zu wahren, weshalb der der Sechszylinder wie gerufen kommt.

Im 20 M P7 läuft der V6 mit bis zu 2,6 Litern Hubraum und 125 PS zu großer Form auf. Das Kürzel RS steht für die sportlich angehauchten Modelle der Mittelklasse-Baureihe.
Foto: Ford

Der Säusler wird zur Kampfmaschine

Es sind atemlose Jahre für Ford in Köln, ein Blick in die Datenblätter zeigt es. Schon als 2,3er mit 108 PS gewinnt der Sechszylinder ab 1967 erheblich an Souveränität und lässt die Kölner Werber übermütig werden: „Ein Ford ist nicht schnell, weil er schnell ist, sondern weil er schneller schnell ist.“  Im Capri RS 2600 wird der 1969 zur Kampfmaschine, doch weil das den jungen Wilden der Ford-Rennsportabteilung nicht reicht, bohren sie den V6 zur siegreichen Rennversion mit bis zu 3,4 Liter Hubraum und 450 PS auf. Die ist dann nicht mehr zu überhören, wenn sie in Spa oder Le Mans das Starterfeld anführt. Und macht sich mit Niki Lauda, Jochen Mass oder Strietzel Stuck im Schalensitz auf ganz eigene Weise unvergesslich.

Nach der ersten Ölkrise von 1973 entdeckt auch Ford USA die Qualitäten des Köln-V6. Im kompakt gewordenen Ford Mustang ist er ab 1978 zu haben.
Foto: Ford