- 24. März 2025
- Tradition & Innovation
- Ulf Schulz
Ein Franzose auf der Chinesischen Mauer
Der Citroën AX ist gut für jegliche Revolution.
Ein Wort musste reichen, und was für ein Wort das war: „Révolutionnaire!“ Bescheidener wollte es Citroën 1986 zur Einführung des AX auf den Werbeplakaten nicht machen. Darüber fand sich das Foto eines roten Kleinwagens mitten auf der Chinesischen Mauer. Unfassbar! Ein westliches Auto auf dem größten, jemals von Menschen geschaffenen Bauwerk aus der Zeit der Ming-Dynastie. Ein anderes Motiv war das Bild eines chinesischen Jungen in schwarzer Uniform, die Hand zum Victory-Zeichen ausgestreckt. Es steht für Friede, Freiheit und Sieg in einer Zeit des Umbruchs.
Die Ente braucht einen Erben
Auch der Citroën AX soll einen langersehnten Umbruch herbeiführen, hat er doch das große Erbe des scheinbar unsterblichen 2CV anzutreten. Die Ente, von 1949 an ununterbrochen produziert, wird dennoch erst vier Jahre nach AX-Einführung mit fast 3,9 Millionen hergestellten Limousinen ihr endgültiges Bauzeitende erfahren. Citroën Visa und auch LNA treten zwar zwischendurch ins Rampenlicht, können aber an die eigentliche Idee der Ente, eines wirtschaftlichen und umweltbewussten Fahrzeugs für die Massen, nicht ernsthaft anknüpfen.
Ganz schön ökonomisch
Zugegeben, mit seiner knapp gehaltenen, zuerst dreitürigen Karosserie, hätte der nur 3,5 Meter lange Citroën AX zumindest auch optisch unter vielen anderen Marken das Licht der Welt erblicken können. Aber Designer Giuseppe Bertone schneidert dem Franzosen ein innovatives Kleid, welches mit einem cW-Wert von 0,31 das windschlüpfrigste seiner Klasse werden soll. Erster Pluspunkt für die Ökonomie! Zweiter Pluspunkt: Das erste Newtonsche Gesetz! Wir erinnern uns: Mehr Masse beschleunigt schwerer, sich bewegende Masse bremst schwerer!
Frei nach Newton
Kurzum setzt das Lastenheft des AX bei der Entwicklung voll auf Newtons Diät und so rollt das Leichtgewicht 1986 mit nur 640 Kilogramm auf den Pariser Automobilsalon. An allen Enden werden Pfunde gespart, die Heckklappe wird rahmenlos angeschraubt, das Unterteil gleich komplett aus Kunststoff gefertigt. Die erste Sitzprobe fällt umso erstaunlicher aus. Denn der Innenraum folgt dem Motto „Platz ist in der kleinsten Hütte“. Ablagemöglichkeiten gibt es en masse und beim Dreitürer verschwinden im Getränkefach der Türverkleidungen sogar 1,5-Liter-Flaschen wie von Zauberhand.
Power hat er genug
Zunächst als Vergaser-Modelle angeboten, reichen die Hubräume der Vierzylinder-OHC Motoren von 954 bis 1.361 Kubik und bescheren leichtfüßige 45 bis sportlichste 98 Pferdestärken. Damit wird der AX in der GT und GTi Version fast zum Flugobjekt. Aber selbst die kleinste Motorisierung hat leichtes Spiel mit der Fuhre und wirkt nie angestrengt. So aufgestellt, gelingt es dem AX als erstem Großserien-Benziner, die europäische Normverbrauchsmarke von vier Litern auf 100 Kilometern um 0,1 Liter zu unterschreiten.
Rekord mit dem Diesel
Selbst kleine Diesel, wie der 1,6er im Ford Fiesta, brauchen zu dieser Zeit mehr Sprit. Im Februar 1989 zieht ein 1,4 Liter Selbstzünder dann auch konsequent im AX ein. Angespornt und mit Michelin-Leichtlaufreifen sowie einem langen Fünf-Gang-Getriebe ausgestattet, gehen die Franzosen auf Rekordfahrt zwischen Dover und Barcelona. Mit 2,7 Litern Diesel auf 100 Kilometern sichert sich das Federgewicht einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde und avanciert zum sparsamsten Großserienmodell der Welt. Révolutionnaire!
Der AX steht früh unter Strom
Mit rund 330 Einheiten die 1993 in Kleinserie aufgelegt werden, zählt der AX zu den Elektro-Pionieren. Mit einer Reichweite um 100 Kilometer und einem Leergewicht von 995 Kilogramm erreicht der Stromer eine Höchstgeschwindigkeit von 91 km/h bei voll belegten vier Sitzplätzen. Damit nicht genug der Innovationen. Ob als Allrad-Version, im Motorsport oder in den unzähligen Sondermodellen – der AX versteht es, die Herzen zu erobern. Dabei begleiten ihn gerade anfänglich viele Mängel, die Wirtschaftlichkeit wird ob der Menge an Reparaturen arg geschunden. Doch er wird mit knapp 2,6 Millionen gebauten Exemplaren der zweitmeistgebaute Citroën aller Zeiten. Chapeau!