- 15. August 2024
- Tradition & Innovation
- Reiner Schloz
Ein deutscher Straßenkreuzer
Aus dem Archiv von GTÜ Classic: der Opel Diplomat
Hubraum im Überfluss, Platz zum Liegen mit jeder Menge Blech drumherum und ein Fahrwerk, das eine komfortable Fahrt versprach, so lange es geradeaus ging. Unter der Freude am Fahren verstanden die US-Amerikaner schon immer etwas anderes als der Europäer. Dennoch wagte die Adam Opel AG Mitte der 60er Jahre einen großen Schritt mit dem Ziel, Mercedes in der Oberklasse spürbar auf die Füße zu treten und das eigene Image aufzupolieren. Der Opel Diplomat, ein Straßenkreuzer mit vielen europäischen Eigenschaften, steuerte mit gewaltiger Power unter der Haube der Oberklasse entgegen. Leider kam er dort nie wirklich an.
Mächtige Achtzylinder
Im Frühjahr 1964 präsentierte Opel die A-Serie eines Trios ziemlich großer Limousinen. Die Opel Kapitän, Admiral und Diplomat – kurz KAD-Modelle genannt – sahen alle gleich aus. Aber je nach „Dienstgrad“ versprachen sie mehr Komfort. Unter der Motorhaube des Diplomat, Oberboss des Trios, endete das Angebot mit dem Brabbeln eines mächtigen 4,6 Liter V8-Aggregats, das der Mutterkonzern General Motors beisteuerte. Ein Jahr später legte Opel ein Coupé nach, von dem nur 347 Einheiten gefertigt wurden und das bereits von einem 5,4 Liter V8 von Chevrolet angetrieben wurde und 230 PS (169 kW) leistete. Ab 1966 war dieser Motor auch für die Limousine zu haben.
Cruisen wie in den USA
Knapp fünf Meter lang und zwei Meter breit, dazu 1,6 Tonnen schwer und mit einem riesigen Motor ausgestattet erfüllte sich der Traum vom deutschen Straßenkreuzer. Das US-Fahrgefühl verstärkte zudem die Zwei-Gang-Automatik, die die riesige Kiste mühelos zu Höchstgeschwindigkeiten trieb. Bei einem Drehmoment von 430 Newtonmeter war schalten praktisch überflüssig. Opel verzichtete demonstrativ auf einen Drehzahlmesser. Was das Fahrverhalten anging, verhielte sich der Diplomat etwas europäischer. Federung und Fahrwerk zeigten eine gewisse Härte, Gürtelreifen sorgten für eine ordentliche Spurtreue und Scheibenbremsen für Sicherheit. Die starre Hinterachse dagegen bockte bei Querrillen.
Neue Achse für mehr Komfort
Noch europäischer gab sich die B-Serie des Trios, die von 1969 an gefertigt wurde. Opel dampfte die Karosserie in Länge und Breite etwas ein, der Diplomat hob sich optisch durch die hochkant eingebauten rechteckigen Frontscheinwerfer erstmals von den Kollegen ab. Als einer der ersten Hersteller verzinkte Opel wichtige Karosserieteile für einen besseren Korrosionsschutz. Die neue und teure starre De-Dion-Hinterachse sorgte zwar für 20 Kilo Mehrgewicht, dafür verbesserte das separat an der Karossiere aufgehängte Hinterachsgetriebe Fahrverhalten und Federungskomfort.
Der Angriff auf Mercedes
Den Diplomat gab es in drei Motorvarianten. Zur Auswahl standen ein 2,8 Liter Sechszylinder mit Vergaser (bis zu 145 PS) oder mit Bosch-Saugrohreinspritzung (bis 165 PS) und der V8 von Chevrolet. Mit US-Maschine kostete der Nobel-Opel 1970 21.556 Deutsche Mark. Er war damit deutlich günstiger als der große Konkurrent Mercedes 300 SEL 3.5. Schlagen konnte er ihn jedoch nicht. Zum einen strahlte für die bessere Gesellschaft ein Stern immer noch heller als der Opel-Blitz, zum anderen war da der große Durst. 20 Liter ließ der V8 auf 100 km locker durchlaufen, was viele abschreckte – und auch seine Lebensdauer letztlich verkürzte. Mit der Ölkrise kam der Produktionseinbruch. Liefen 1969 noch 17.777 Einheiten vom Band, waren es 1974 noch 1.754. Die Fertigung von Kapitän und Admiral wurden früher eingestellt, der letzte Diplomat wurde 1977 gefertigt.
Ärger in der Rente
Das Altenteil bekam dem deutschen Straßenkreuzer auch nicht besonders gut. Wie so oft bei üppigen Pkw gingen auch die Opel Diplomat im Lauf der Zeit durch viele Hände, die es mit der Pflege nicht so genau nahmen. Reparaturen kosteten richtig Geld, die Ersatzteilbeschaffung entpuppte sich mehr und mehr als Problem. Laut Kraftfahrtbundesamt gab es 2015 noch 341 Diplomat V8. Die Zeiten, in denen es beim Automobil immer noch ein bisschen mehr sein durfte, sind eben längst vorbei.