- 03. Dezember 2021
- Tradition & Innovation
- Elmar Brümmer
Die Tanksäulen der Gesellschaft
Sogar Lassie, unser Kolumnen-Dienstfahrzeug, liebt Tankstellen. Das muss etwas mit Kultur zu tun haben.
Die Pinakothek der Moderne in München ist nicht unbedingt ein Ort, an dem sich eine Zapfsäule vermuten lässt. Aber doch, mitten in der wunderbaren Designsammlung findet sich ein besonders schönes Stück, und das Leuchtschild gleich dazu. Es stammt von 1950, und die Museumsmacher haben es mitten in den Saal gestellt. Wie ein Mahnmal. Tatsächlich, die Tankstelle als Kulturgut im täglichen Straßenverkehr stirbt aus. Nicht erst seit heute oder seit Tesla, sondern schon ein Weilchen. Gegenüber 1960 ist ihre Anzahl um drei Viertel auf 15.000 gesunken. Und bald sollen da keine Säulen mehr stehen, sondern große Batterien. Ob die als Stützen der Gesellschaft taugen?
Tanken ist ein Ritual, die Tankstelle ein Autokino
Nicht, dass es besonders sexy wäre, den Dieselhandschuh überzustreifen oder den Mega-Staubsauber so lange in Richtung Rückbank zu zerren, bis der 50-Cent-Kredit schon vor der Reinigung verbraucht ist. Aber die Fahrt zur Tankstelle ist wie der Gang zum Briefkasten: ein liebgewonnenes Ritual. Wer weiß schon, was er vorfinden wird. Wie, es schreibt doch keiner mehr Briefe? Angeblich soll auch bald keiner mehr tanken, denn Elektromobile lassen sich auch zuhause laden. Mag alles richtig sein. Aber wenn die Pumpe vibriert, dann hat das immer noch einen eigenen Vibe. Man tankt ja nicht bloß Sprit. Hier geht’s ja auch um Esprit. Oder, wie die Marketingmenschen so gern sagen: die Experience. Manchmal hat Tanken fahren wirklich etwas von Autokino.
Hat da ein Symbol der Freiheit ausgedient?
Jeder könnte auch zu Hause seinen Kaffee trinken. Trotzdem gehen die Menschen gern ins Café. Der Kolumnist auch. Denn da bekommt er nicht nur einen Extra-Keks, sondern auch etwas vom Leben mit. Auch für den Coffee-to-drive geht es manchmal an die Tankstelle. Selbst wenn im Inneren dieser Megatanken gelegentlich ein eigenes GPS hilfreich wäre. Es sind ja längst Supermärkte mit angeschlossenen Zapfsäulen. Pardon, der Tankwart meines Vertrauens legt Wert darauf, dass er ein Bistro und einen Shop betreibe. Und macht mehr als 60 Prozent seiner Umsätze nicht mehr mit dem Tanken. Auf den Wunsch nach einem zweiten Mandelkeks reagiert er prompt, er erkennt den Liebhaber. Auf die Frage, ob die Tankstelle als Symbol der Freiheit endgültig ausgedient habe, kommt er ins Grübeln. Vielleicht sollten wir ihm zu Weihnachten einen Bildband aus Kalifornien mitbringen. Dort gelten viele der alten Stations mit ihrer leicht übertriebenen Architektur immer noch als Kathedralen des Kraftstoffs. Hübsch anzugucken, aber sie wecken auch Melancholie.
Beim Tanken zeigt sich, wer treu sein kann
So, wie jeder auf „seine“ Bäckerei schwört, folgen wir auch meist dem Schild eines bestimmten Mineralöllieferanten. Zumindest alle, die keine Sparfüchse sind und zu Tankvagabunden wurden. Der Kolumnist hat schon als kleiner Junge Markentreue gelernt. Und zweimal die Woche den Vater zu Esso getrieben, obwohl der Tank des Commodore noch gar nicht leer war. Aber: für jeden einzelnen Tankstellenbesuch gab es eine Sammelmünze oder einen Satz Klebebilder. Die Alben füllten sich über die Jahre. Mit Fußballern, Abenteurern, Olympioniken, Erfindern. Irgendwie war das nachhaltiger als bloß Punkte zu sammeln oder Rabattcoupons einzulösen. Es hatte etwas mit Kultur zu tun.
Ein echtes To-Go-Erlebnis
Tankstellen und ihre Pächter sind die Nachtportiere der Republik und auch der Frühstücksraum der mobilen Gesellschaft. Wir sind gespannt, was aus ihnen wird, wenn Ladeparks entstehen und wir mit Brennstoffzellen fahren. In Hamburg, direkt gegenüber der allwissenden Spiegel-Redaktion, haben wir die Zukunft schon gesehen. Dort lässt sich schon Wasserstoff tanken. Allerdings: für den Kaffee muss man über die Straße, in die Spiegel-Kantine. Heißt ja auch to go.