Die schützende Hand der Göttin

GTÜ Classic erinnert an den Citroen DS.

Citroen DS 21 Cabriolet, Baujahr 1968 (Fotos: Citroen Deutschland GmbH)

Die Experten der zentralen Klassikabteilung der GTÜ in Stuttgart und vor Ort besitzen die notwendige Expertise für Klassiker aller Art. Sie greifen auf fundiertes Wissen und eine umfangreiche, qualifizierte Datenbank zurück. In loser Folge veröffentlicht das Magazin KRAFTHAND exklusive Einblicke ins Archiv der Sachverständigenorganisation. Diesmal geht es um den Citroen DS, einem Auto, das seiner Zeit weit voraus war.

Es beginnt mit einem Attentat

Es ist früh am Abend an diesem 22. August 1962. Frankreichs Präsident General Charles de Gaulle zieht es in die Sommerfrische. Der kleine Konvoi aus zwei Citroen DS und zwei Polizei-Motorrädern macht sich auf den Weg Richtung Süden. Auf dem Militärflugplatz Villacoublay wartet ein Hubschrauber, der den Präsidenten in sein Landhaus bringen soll. Neben ihm sitzen Ehefrau Yvonne, sein Schwiegersohn und der Fahrer im Wagen. Auf der Rue nationale 306 bei Petit-Clamart liegen zwölf ehemalige Soldaten mit automatischen Waffen auf der Lauer.

Die Legende lebt

Anführer Oberstleutnant Jean Bastien-Thiry gibt um 20.08 Uhr den Befehl zu feuern. Es fallen 187 Schüsse. De Gaulles ungepanzerte DS fängt sich 14 Kugeln ein. Die Vorderreifen sind zerschossen. Doch dank der Hydropneumatik des Citroen behält der Chauffeur die Kontrolle über den Wagen und entkommt. Am Flugplatz angekommen, sagt De Gaulle: „Diesmal war es knapp.“  Es ist ein Attentat, das Frankreich schockiert. Und ein Attentat, das der Legende um ein Fahrzeug neue Nahrung gibt. Der Citroen DS, Inbegriff französischer Ingenieurskunst und der Stolz einer ganzen Nation, kann also auch das: Leben retten.

Ein Wunderwerk des Designs

Für Aufsehen hatte die DS ja immer gesorgt. Vom ersten Tag an. Schon bei der Premiere auf dem Pariser Automobilsalon am 1. Oktober 1955 bildeten sich im Grand Palais Menschentrauben. Citroen präsentierte sein neues Modell. Aber da stand kein Auto, sondern ein faszinierend windschnittiges Etwas, eher ein Raumschiff auf vier Rädern, die auch noch mit einem Innensechskant-Zentralverschluss mit den Achsen verbunden waren. Dazu eine Schaltung an der Lenksäule und ein Lenkrad, das mit nur einer bananenförmigen Speiche ausgestattet war. Ein Wunderwerk modernen Designs, dass die Zukunft des Automobils einläuten sollte.

Citroen DS vor dem Eiffelturm in Paris.

Die Allianz aus Luft und Wasser

Der Legende nach sollen bereits am ersten Messetag 80.000 Kaufaufträge eingegangen sein. Denn zur Optik gesellte sich die völlig neue Technik. In der DS herrschte dicke Luft. Die sogenannte Hydropneumatik – laut Werbung eine „Allianz zwischen Luft und Wasser“ – bestimmte das ganze Innenleben: Federung, Bremsen, Fahrwerk und Schaltung erreichten eine neue Komfortzone. Je nach Beladung oder Straßenbeschaffenheit konnte die Bodenfreiheit manuell von neun auf bis zu 28 Zentimeter angehoben werden.

Ehre, wem Ehre gebührt

Die geniale Konstruktion verantworteten Ingenieur André Lefèvre und Flaminio Bertoni, ein begabter Zeichner, Bildhauer und Designer aus Italien. Die Väter der DS schafften eine bis dahin noch nicht gekannte Harmonie zwischen Form und Technik. Und weil DS im französischen genauso ausgesprochen wird wie „la déesse“, die Göttin, hatte das Fahrzeug schnell seinen Spitznamen, der eher eine Ehrenbekundung war.

Licht in der Kurve

Der internationale Siegeszug der Göttin war nicht aufzuhalten, auch weil die Franzosen den technischen Vorsprung, den sie auf einen Schlag herausgearbeitet hatten, nicht so schnell aufgeben wollten. Im Lauf der Jahre wurde das Fahrzeug immer wieder leicht modifiziert – zum Beispiel schon damals mit einem beweglichen Kurvenlicht –, aber der ursprüngliche Charme blieb erhalten. Es gab verschiedene Motorvarianten von 1,9 Liter (43 kW) bis zu 2,3 Liter (93 kW). Es gab Luxus-Ausführungen (Pallas), die DS für die breite Masse, es gab Cabrios, Kombis und nützliche Umbauten (Krankenwagen).

Eine charmante Begleiterin

Die DS erfüllte alle Anforderungen an eine repräsentative Staatskarosse und verströmte den Charme eines großen Filmstars an der Seite von Louis de Funes, Jean Marais, Jean-Paul Belmondo, Uma Thurman, Leonardo di Caprio oder „Mentalist“ Simon Baker. Und Sie konnte die Muskeln spielen lassen, wie unter anderem Siege bei der Rallye Monte Carlo oder Lüttich-Sofia-Lüttich beweisen. Aber vor allem war sie weltweit begehrt und beliebt. Und die Göttin, die ihre schützende Hand über de Gaulle gehalten hatte. Nach 1.455.746 Fahrzeugen wurde die Produktion am 24. April 1975 eingestellt. Bis heute ist Citroen auf der Suche nach dem alten Glanz. DS ist inzwischen eine eigene Marke für die Citroen Luxus-Modelle.