- 14. Dezember 2022
- Tradition & Innovation
- Reiner Schloz
Die Corvette des kleinen Mannes
Opel trumpft Ende der 60er Jahre mit einem Sportwagen auf.
Die Experten der zentralen Klassikabteilung der GTÜ in Stuttgart und vor Ort besitzen die notwendige Expertise für Klassiker aller Art. Sie greifen auf fundiertes Wissen und eine umfangreiche, qualifizierte Datenbank zurück. In loser Folge veröffentlicht das Magazin KRAFTHAND exklusive Einblicke ins Archiv der Sachverständigenorganisation. Diesmal geht es um den Sportwagen Opel GT.
Guter Geschmack aus Rüsselsheim
Für einen Designer muss es das Größte sein: Alle Konventionen über Bord werfen, sich einen Dreck um die geltenden Regeln scheren. Einfach mal machen, was man will. Und der Vorstand hat keine Ahnung davon. Passiert so etwas bei Opel, kommt das einer Kulturrevolution im Hause Biedermeier gleich. Der Aufstand des guten Geschmacks geht vom hauseigenen Styling Studio aus, das Anfang der 60er Jahre eingerichtet wurde. Es war das erste Designcenter eines europäischen Automobilherstellers überhaupt.
Heimlich, schnell und weise
Erhard Schnell und seine Crew waren hochmotiviert und schnitzten mit Plastilin an einem Sportwagen für jedermann. Ohne offiziellen Auftrag. Als das Concept-Car „Experimental GT“ seine finalen Konturen erhalten hatte, wurde es höchste Zeit für eine umfassende Beichte. Zum Glück waren die Vorstandsherren hellauf begeistert. Und so staunten auf der IAA 1965 Experten und Autonarren über dieses Fahrzeug mit den ungewohnt scharfen Kurven. Aber alle waren sich einig: Das Auto baut Opel nie.
Was für ein Slogan: Nur fliegen ist schöner!
Falsch gedacht. 1968 lief der erste Opel GT vom Band, auch weil ihn die Aura der Kreativität, in der alles erlaubt und alles möglich ist, von der ersten Idee an nicht mehr verlassen hatte. Das betraf nicht nur den Sportwagen selbst, sondern auch seine Begleitumstände. Da war der Werbeslogan, der heute als geflügeltes Wort gilt: „Nur Fliegen ist schöner.“ Und da war der offizielle Werbespot, der so frech mit den Nachteilen des GT spielte, wie sich das heute kein Autobauer mehr mit einem seiner Modelle trauen würde: ein beleibter Herr mittleren Alters versucht vergeblich in die flache Flunder einzusteigen. Ur-komisch und noch heute ein Youtube-Klassiker.
Für den Fahrer ist es ein Liegewagen
In der Tat war der GT nur 1,22 Meter hoch, und obwohl die obere Türkante bis weit ins Dach hineinreichte, war das Einsteigen schwieriger als das Fahren in der halbliegenden Sitzposition. Aber wen sollte das abhalten? Es gibt viele Merkmale, die den GT zu einem begehrenswerten Fahrzeug machten: Die geschwungenen Kotflügel. Die versteckten Scheinwerfer, die nicht aufgeklappt, sondern per Hebel rausgedreht wurden. Die runde bullige Seitenansicht und die scharfe Abrisskante am Heck, die auch bei hohen Geschwindigkeiten für ausreichend Abtrieb sorgte. Die vier runden Heckleuchten. Das sportliche Interieur mit Drei-Speichen-Lenkrad und Rundinstrumenten. Dazu kamen die kurzen Schaltwege, die die Kraft des Viergang-Getriebes an die Hinterachse übertrugen. Ein echter Zwei-Sitzer ohne Kofferraum.
Die Kraft der zwei Motoren
Im Bochumer Opel-Werk warteten Getriebe, Achsen und Motor auf die aus Frankreich stammende Karosserie. Eigentlich waren es zwei Motoren. Den GT gab es mit dem 1,1-Liter Reihenmotor aus dem Opel Kadett B mit 60 PS. Ausserdem im Angebot ein aus Platzgründen leicht modifizierter 1,9 Liter-CIH-Motor aus dem Opel Rekord C, der 90 PS leistete. Die Basis-Version fand aber wenig Anklang und wurde bald eingestellt. Schließlich hieß der Opel-Sportler wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Stingray des Mutterkonzerns GM auch die „Corvette des kleinen Mannes“.
Ein Vorbild in Sachen Sicherheit
Die Basisversion kostete nur rund 10.000 Deutsche Mark. Das war wirklich nicht viel für einen Sportwagen, der nicht nur auf sein Äußeres achtete, sondern auch mit seinen inneren Werten glänzte. Mit vielen Maßnahmen – wie zum Beispiel Drei-Punkt-Sicherheitsgurten oder Überroll- und Seitenaufprallschutz – setzte der GT in Bezug auf die Sicherheit für seine Zeit Maßstäbe.
Über 100.000 mal gebaut
Nur aus dem ursprünglich geplanten Cabrio wurde nichts. Der 1969 vorgestellte Aero GT blieb eine Studie. Dem Erfolg des Opel GT konnte das nicht schaden. In nur fünf Produktionsjahren wurden über 103.000 Opel GT gebaut, die Hälfte der Fahrzeuge landete in den USA. Dann wechselten die französischen Blechschneider den Besitzer und mussten fortan Renault beliefern. Und in den USA änderten sich die Sicherheitsvorschriften, die Anpassung wäre viel zu teuer gewesen. Der Opel GT wurde ein Opfer der Umstände.