- 29. Juli 2022
- Tradition & Innovation
- Reiner Schloz
Der Pionier aus Japan
Der Honda S800 war der erste Volltreffer aus Japan.
Die Experten der zentralen Klassikabteilung der GTÜ in Stuttgart und vor Ort besitzen die notwendige Expertise für Klassiker aller Art. Sie greifen auf fundiertes Wissen und eine umfangreiche, qualifizierte Datenbank zurück. In loser Folge veröffentlicht das Magazin KRAFTHAND exklusive Einblicke ins Archiv der Sachverständigenorganisation. Diesmal geht es um den Honda S800.
Ein Neuling mit reichlich Klasse
Japanische Autos? Mitten unter uns? Anfang der 60er Jahre schien schon der Gedanke daran völlig absurd. Die Begegnung mit einem solchen Exoten auf unseren Straßen war so wahrscheinlich wie der Kontakt mit Außerirdischen. Motorräder von Honda, ja, an die hatte man sich gewöhnt. Umso größer war die Überraschung, als Honda 1966 auf dem Pariser Automobilsalon seinen ziemlich sportlichen S800 präsentierte. Schon mit ihrem ersten Aufschlag auf dem europäischen Markt landeten die japanischen Automobilbauer einen Volltreffer. Mit dem Coupé, das stark an den Fiat 850 Spyder erinnerte, wurde das Cabriolet gleich mit vorgestellt. Je länger die Experten den ersten Japaner für den europäischen Markt unter die Lupe nahmen, desto überzeugter waren sie: Das Auto hatte Klasse. Man musste es ernst nehmen.
Von zwei auf vier Räder
Die Japaner waren weniger überrascht über den freundlichen Empfang. Als Motorradhersteller hatte Honda ja reichlich Erfahrung mit kleinen Motoren, die über hohe Drehzahlen eine respektable Leistung auf die Straße brachten. Um rund um die Leistung noch mehr Erfahrung zu sammeln, engagierte sich Honda schon 1964 in der Formel 1 und gewann bereits ein Jahr später den ersten Grand Prix. Irgendwie logisch, dass das Unternehmen bald auch Autos bauen würde. Die ersten Modelle für den heimischen Markt ähnelten rein äußerlich schon sehr dem späteren S800, schickten aber ihre Kraft noch mittels einer Kette an die Hinterachse. Beim S800 war das anders. Die Kraftübermittlung verantwortete eine stabile Kardanwelle und der Vierzylinder mit 781 cm3 Hubraum verdiente allen Respekt. Das Aggregat war zwar nicht wirklich innovativ, aber mit einer Technik ausgestattet, die erstens sehr klug eingesetzt und zweitens mit Teilen versehen wurde, die man bisher nur von Motoren wesentlich teurerer Fahrzeuge kannte. Ein starkes Argument für den Honda, der als Cabrio oder als Coupé 7.750 Deutsche Mark kostete.
Ein Drehzahlkönig wird geboren
Um das Platzangebot in der Frontpartie optimal nutzen zu können, war der wassergekühlte Hochleistungsmotor aus Aluminiumguss vorn längs und 45 Grad nach links um die Längsachse geneigt. Für die Lagerung der Kurbelwelle sowie für die Pleuellager benutzte Honda ausschließlich Nadellager. Das garantierte kleinere Reibungsverluste und hielt die Schmier- und Kühlprobleme in Grenzen. Dass der Honda nicht heiß lief, war auch besser. Eigentlich war der Motor als Langhuber ausgelegt. Und die fühlen sich bekanntlich im unteren Drehzahlbereich am wohlsten. Aber der Honda drehte – die DNA des Motorradherstellers – nahezu grenzenlos. Seine rund 67 PS (50 kW) erreichte der S800 bei 7.750 Umdrehungen pro Minute.
Härter als der Prüfstand
Er soll dabei noch relativ ruhig, souverän und auch auf Dauer zuverlässig geblieben sein. Mit hohen Drehzahlen ist das ja so eine Sache. Sie verlängern die Lebensdauer eines Motors nicht gerade. Und sie regen den Durst an. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 110 km/h schluckte das gerade mal 755 Kilogramm schwere Coupé acht Liter Super plus. Die Drehzahlen regten auch die Fantasie an. Der Legende nach sollen die Ingenieure der Technischen Hochschule Braunschweig dem Honda einem Härtetest unterzogen haben. Und tatsächlich: Bei 12.000 Umdrehungen war Schluss. Allerdings soll damals nicht der Motor, sondern der Prüfstand aufgegeben haben.
Augen auf: Der S800 besitzt Seltenheitswert
Schöne Geschichten, von denen nicht mehr übriggeblieben ist. Zwischen 1965 und 1970 wurden 3.785 Cabrios und 7.738 Coupés des Dreh-Wunders gebaut, 1200 davon in Deutschland verkauft. Gut 200 der Fahrzeuge gibt es noch, nicht alle sind fahrbereit. Die Chance, auf deutschen Straßen noch einem S800 zu begegnen streben also gegen Null. Auch auf dem Classic Markt herrscht nicht gerade ein Überangebot. Wer die alte Drehfreude made in Japan genießen möchte, muss wieder zurück zum Ursprung – und aufs Motorrad umsteigen.