Der „Leukoplastbomber“ wird stolze 75

Der Lloyd sorgt für Fahrspaß auch bei den kleinen Leuten

Für die elegante Dame ist der Lloyd sogar als Coupé zu haben. Allerdings wird es nur in Mini-Stückzahlen verkauft.
Foto: Archiv Christian Steiger

Es sind die Reichen der jungen Bundesrepublik, die im eigenen Auto sitzen. Das ändert sich im Frühjahr 1950 – nicht mit dem VW Käfer, denn der ist noch zu teuer, sondern mit dem Lloyd LP 300 aus Bremen: Er wird zum Bestseller, weil ihn auch Facharbeiter und kleine Angestellte bezahlen können.

Nur mit eingezogenem Kopf

Als der Kopf des Dummys gegen das Dach des Prototypen stößt, verpasst ihm Carl F. W. Borgward einen Schlag ins Genick: Die Puppe sackt zusammen, jetzt passt sie rein ins neue Auto. Für elaborierte Diskussionen ist keine Zeit im Jahr zwei der jungen Bundesrepublik, schon gar nicht beim Autotycoon Carl F. W. Borgward. Der Erfolg des Lloyd LP 300 gibt ihm vor 75 Jahren recht: Die kleine Kiste ist ein Verkaufsrenner und macht kleine Leute mobil. Und tatsächlich passen sogar Zwei-Meter-Männer rein, wenn sie den Kopf einziehen, in Froschhaltung hinterm großen Lenkrad hocken und sich nicht daran stören, dass die Rückenlehnen nur bis knapp über ihre Nieren reichen.

Der Besitzerstolz ist nicht zu übersehen: Für viele Ureinwohner der Bundesrepublik ist ein Lloyd das erste eigene Auto.
Foto: Archiv Christian Steiger

Stoßdämpfer sind Luxus

Nur 2.800 Mark soll der Lloyd kosten, als Borgward seinen neuen Kleinwagen im Frühjahr 1950 vorstellt. Am Ende sind es 534 Mark mehr, denn Borgwards Buchhalter hatte bei der Kalkulation zunächst die Gewinnspanne der Händler vergessen. Den Erfolg des Lloyd hält das nicht auf, weil er kaum teurer ist als ein Motorrad mit Seitenwagen und trotzdem Platz genug für vier Personen hat. Außerdem sieht er wie ein richtiges Auto aus, obwohl er bloß eine provisorische Fahrmaschine ist. Eine Ganzstahl-Karosserie ist in dieser Preisklasse nicht drin, deshalb besteht der Aufbau aus einem Holzgerüst, das Borgwards Handwerker mit Sperrholzteilen beplanken, mit einer isolierenden Filzschicht versehen und dann mit farbigem Kunstleder überziehen. Auf einen Kofferraumdeckel müssen Lloyd-Käufer verzichten, eine Tankanzeige fehlt ebenfalls, die Betriebsanleitung empfiehlt das Messen mit Hilfe eines Holzstabs. Als Gipfel des Geizes lässt Borgward auch die Stoßdämpfer weg.

Mit etwas gutem Willen passen ganze Familien in den Lloyd. Die breite Motorhaube verrät einen 300er von 1952, das Besatzungskennzeichen die Herkunft aus dem Landkreis Traunstein in Bayern.
Foto: Archiv Christian Steiger

Türen wie aus Papier

Eine rollende Verzichtserklärung ist so ein Lloyd LP 300 aber trotzdem nicht. Dank der bauchigen Karosserieform und der papierdünnen Türen bringt es der Kleinwagen auf eine Innenbreite von 1,23 Metern, mehr bietet damals auch der VW Käfer nicht. Und obwohl sein 0,3-Liter-Zweizylinder-Motörchen mit dem laut heulenden Kühlgebläse nur 10 PS leistet, nehmen ihn die Zeitgenossen nicht als Schwächling war. „Es scheint kein Hindernis zu geben, das der Lloyd nicht überwinden könnte“, staunt Werner Oswald damals im Fachblatt „Auto – Motor und Sport“ und beschreibt, wie er die verschneite Alte Weinsteige in Stuttgart im ersten Gang mit vier Personen niedergerungen hat. Auch die direkte Lenkung des Lloyd, die geringe Seitenneigung und das neutrale Kurvenverhalten lobt der Tester: „Ich möchte bezweifeln, dass man ihn ins Schleudern bringen kann.“

Der Lloyd-Prospekt verspricht 1951 nicht zu viel: Ein LP 300 kostet 1300 D-Mark weniger als der einfachste Volkswagen.
Foto: Archiv Christian Steiger

Die Konkurrenz dichtet mit

Es gehört zur Erfolgsgeschichte des Lloyd, dass er trotz seines zähen Wesens zur Witzfigur wird. Der berühmte Spottvers „Wer den Tod nicht scheut, fährt Lloyd“ geht allerdings eher auf die Verkäufer der Konkurrenz zurück als auf die Besitzer. Und der Spitzname „Leukoplastbomber“, der sich wegen des Kunstlederbezugs einbürgert, lässt sogar einen Hauch von Bewunderung aufblitzen: Denn der Lloyd hat ihn von der Focke-Wulf Fw 158, einem Transportflugzeug des Zweiten Weltkriegs, dessen tragende Konstruktion teilweise mit Stoff bespannt war. Die „Leukoplastbomber“ waren oft als Sanitätsflugzeuge unterwegs, die Verwundete ins Lazarett brachten. Dass das genarbte Kunstleder des Lloyd eine gewisse Ähnlichkeit mit Heftpflaster hat, ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen.

Der Zweizylinder-Zweitaktmotor bleibt vielen Zeitzeugen wegen seines jaulenden Kühlgebläses in Erinnerung. Ein Austauschmotor kostet 1951 nur 98 D-Mark.
Foto: Archiv Christian Steiger

Nach dem Lloyd kommt die Isabella

Eine Lösung auf Dauer ist die Fachwerk-Konstruktion des Lloyd ohnehin nicht. Schon im März 1953 bekommt er Seitenteile aus Stahlblech, zehn Monate später folgen Motorhaube und Heck und im November 1954 schließlich die Ganzstahl-Karosserie. Als Alexander, den es sogar in einer sportlichen TS-Version gibt, verwandelt sich der kleine Simpel in einen kultivierten Kleinwagen. Zu Beginn der Fünfziger verdient er die Millionen, die Borgwards legendäre Isabella erst möglich machen, und lässt den Bremer Einzelgänger zum drittgrößten deutschen Autobauer aufsteigen. Doch auch mehr als 300.000 verkaufte Lloyd-Kleinwagen können nicht verhindern, dass Borgwards Autoimperium 1961 zusammenbricht. Die Zeit der einfachen Lösungen ist vorbei.

Lloyd-Parade beim Vertragshändler Balke in Braunschweig, 1952. Die zweifarbige Ausführung des LP 300 ist populär, denn sie kostet keinen Aufpreis.
Foto: Archiv Christian Steiger