- 08. April 2022
- Tradition & Innovation
- Michael Petersen
Amtlich: Wie Autos zum Kulturgut werden
Die GTÜ-Partner erstellen seit 15 Jahren die notwendigen Oldtimergutachten.
30 Jahre alte Autos können in Deutschland in den Genuss eines H-Kennzeichens kommen. Der Vorteil für manchen Oldtimerfahrer: ein einheitlicher Steuersatz. Voraussetzung für das „H“ ist seit 15 Jahren ein Gutachten nach § 23 StVZO, das „Oldtimergutachten“. Was sich dahinter verbirgt, zeigt ein Arbeitsbesuch beim GTÜ-Classic-Partner Konrad Deuschle in Sulz am Eck (Landkreis Calw). Der freut sich über die zunehmende Vielfalt gepflegter Oldtimer und sagt: „Die Kulturgutbrille setze ich gern auf.“
Technisches Kulturgut erhalten
Drei rote Buchstaben auf weißem Grund: Das GTÜ-Logo in Wildberg / Sulz am Eck weist den Weg. Auf der einen Seite des Grundstücks die Prüfstelle, direkt daneben das Ingenieurbüro als Bewertungsstelle für historische Fahrzeuge und Einzelabnahmen. Für Konrad Deuschle und seine Kunden die perfekte Ergänzung, zwei Dienstleistungen des Kfz-Sachverständigen aus einer Hand: Gutachten nach § 21 und § 23 StVZO sowie Wertgutachten.
Deuschle ist seit 2015 GTÜ-Classic-Partner, einer von rund 150 in Deutschland. Sie eint nicht allein hohe Kompetenz zu historischen Autos, Motorrädern und Nutzfahrzeugen, sondern meist auch ein Faible für das rollende Kulturgut. Was in dieser Halle klar erkennbar ist: Ein Dutzend Autos und Motorräder stehen wie in einem überdimensionalen Regal auf drei Etagen. Ganz oben übt beispielsweise ein oranger NSU TT aus dem Jahr 1972 seine zeitlose Signalwirkung aus. Im zweiten Stock fällt ein Saab 9000 von 1989 auf, und zwischen einigen Moto Guzzi findet sich eine silbergraue Mercedes-Benz S-Klasse der Baureihe W 140, Baujahr 1992.
Voraussetzung für das H-Kennzeichen
Das richtige Ambiente, um über Gutachten für historische Autos zu sprechen, die ein kleines Jubiläum feiern. Vor 25 Jahren musste der Klassikerfreund für das H-Kennzeichen eines Oldtimers noch eine besondere Betriebserlaubnis beantragen. Das änderte sich vor 15 Jahren: Seit 1. März 2007 ist im § 23 StVZO festgelegt, dass das Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder eines Prüfingenieurs einer amtlich anerkannten Überwachungsorganisation wie der GTÜ ausreicht. Dieses Oldtimergutachten ist eine Pflichtvoraussetzung für das H-Kennzeichen.
Das H-Kennzeichen selbst ist natürlich nicht Pflicht, wenn ein Klassiker auf der Straße fahren soll: Mancher Fan entscheidet sich dagegen. Etwa, weil sich aus Hubraumgründen keine Steuerersparnis ergibt, er das alte DIN-Kennzeichen behalten will oder seine Versicherung attraktive Konditionen für ein wenig bewegtes Fahrzeug bietet.
Das zweite Autoleben leben
Wird ein Oldtimergutachten erstellt, gehört eine Hauptuntersuchung (HU) mit dazu und ist danach wie üblich alle zwei Jahre fällig. Über den Unterschied zur normalen HU sagt Konrad Deuschle: „Bei heutigen Autos interessiert der optische Zustand überhaupt nicht, beim Oldtimer dagegen sehr wohl.“ Denn im Historienfall wird auch der Erhaltungs-, Pflege- und Originalzustand eines mindestens 30 Jahre alten Fahrzeugs bewertet.
Warum der eine Rolle spielt, liegt an der Zielrichtung des H-Kennzeichens: Es soll zur Pflege des kraftfahrzeugtechnischen Kulturguts beitragen. Das geht nur, wenn Ästhetik und Technik einem mindestens drei Jahrzehnte zurückliegenden Zeitgeist entspricht. Der GTÜ-Experte schaut mit viel Freude auf die Vergangenheit: „Die Kulturgutbrille setze ich mir gerne auf.“ Dieser Blick führt zum nächsten Unterschied zwischen Gebrauchtwagen und Oldtimern: „Ein älterer Gebrauchter erhält vielleicht zum letzten Mal vor dem Schrottplatz eine Plakette, ein Oldtimer dagegen hat seine Gebrauchsphase längst überstanden und lebt sein zweites Autoleben.“
Erst mal ganz genau hinschauen
Doch wie definiert sich ein „guter Pflegezustand“? Ein Anforderungskatalog nennt die Kriterien genau. Sie betreffen Karosserie, Rahmen und Fahrwerk oder Innenraum einschließlich Armaturenbrett, Sitzen und Sicherheitsgurten. Konrad Deuschle kennt die Vorschriften bis ins Detail, schließlich schult er selbst GTÜ-Prüfingenieure zu diesem Thema. Wie er selbst in der Praxis vorgeht? Auf der Hebebühne inspiziert er einen Kandidaten ganz genau. „Ich will herausfinden, was für ein Wagen vor mir steht und ob das, was ich sehe, plausibel ist.“ Auf diese genaue Sichtprüfung aller Baugruppen folgt die Identifizierung. Stimmen Fahrgestellnummer und Papiere überein? In der Praxis muss es bei Unstimmigkeiten nicht gleich um Betrug gehen, denn vielleicht handelt es sich um eine Replica. Auch Schreibfehler oder Übertragungsfehler aus der Vergangenheit trüben in den Papieren gar nicht so selten das Bild und müssen korrigiert werden. Die langjährige Erfahrung des GTÜ-Experten hilft beim Urteil, ob der Motor zum Fahrzeug passt.
Noch Patina, oder schon Vernachlässigung?
Eine ausführliche Prüfungsfahrt gehört beim Oldtimer zum Programm dazu, bei der Hauptuntersuchung für jüngere Wagen fällt diese meist kürzer aus. Dass hier wie dort sicherheitsrelevante Bauteile wie Bremsen, Lichtanlage, Stoßdämpfer und Fahrwerk den Vorschriften entsprechen müssen, versteht sich von selbst.
Besonders spannend wird es, wenn sich Konrad Deuschle auf die Gratwanderung zwischen „Vernachlässigung“ und „Patina“ begibt. Gebrauchsspuren wie den einen oder anderen Kratzer darf ein zum rollenden Kulturgut zählender Oldtimer haben und erst recht, wenn er in weitgehend vorhandener Erstlackierung vor dem Gutachter steht. Ein blinder Scheinwerfer jedoch oder verschlissene Sitze sind keine Patina, sondern vernachlässigte Teile, die den Erhaltungszustand mindern oder gar sicherheitsrelevant sind.
Sind alle Kriterien erfüllt, fertigt der Prüfingenieur das Gutachten, die Kosten bewegen sich zwischen 120 und 140 Euro. Wer es bei der Zulassungsstelle vorlegt, kann die Kennzeichen mit dem „H“ am Ende prägen lassen und kommt zudem in den Genuss des einheitlichen Steuersatzes. Seit 2017 lässt sich das „H“ auch mit dem Saisonkennzeichen kombinieren.