- 09. April 2025
- Tradition & Innovation
- Christian Steiger
Als das Lenkrad noch verpackt werden musste
Das Museum des vergessenen Autozubehörs: die Kamei-Avus-Lenkradhülle

Willkommen in der wunderbaren Welt der kleinen und großen Dinge, die das Auto ein bisschen schöner und besser machen: Wir wühlen im Regal der Zubehörgeschichte und zeigen die vergessenen Extras von gestern. Gefunden haben wir diesmal die Kamei-Avus-Lenkradhülle, die über 100 Millionen Autofahrer in den Händen gehalten haben.
Karl Meier ist der Vater des Sponsors
Manchmal ist Karl Meier einfach früher dran als der Trend. Bei der Erfindung des Frontspoilers ist es so, Meier zeigt ihn bereits 1953 auf den Genfer Salon. „Doch die Leute hielten ihn für einen Schneepflug“, wie sich sein Sohn Uwe später erinnert. Dass der Käfer gerne ein bisschen komfortabler sein dürfte, weiß im Deutschland der Adenauer-Ära dagegen jedes Schulkind. Und deshalb sind es die anderen, weniger erklärungsbedürftigen Produkte der jungen Firma Kamei, mit denen Karl Meier das große Geld verdient.
Schlummerkissen und Autoblumenvasen
Schicke Schonbezüge für die Sitze gehören dazu und das „Schlummerkissen für das Nickerchen im Wagen“, wie der Kamei-Prospekt damals wirbt: Der Beifahrer kann es mit Saugnäpfen an der Seitenscheibe befestigen. Auch Nachrüst-Kopfstützen hat Kamei schon früh im Programm, eine unfallsichere Autoblumenvase aus Gummi und eine patentierte Beinstütze, die „das unkomfortable Abkippen der rechten Wade“ beim Gasgeben verhindert. Alles das wird das junge Wolfsburger Unternehmen in bis zu sechsstelligen Stückzahlen los. Doch kein Zubehörprodukt des Wolfsburger Unternehmens verbreitet sich so massenhaft wie die berühmte Lenkradhülle, die 1964 zum ersten Mal im Kamei-Programm erscheint.
Besonders im Sommer fehlt es am Grip
Das Problem, das hinter dem Verkaufserfolg steckt, betrifft nicht nur den Käfer, sondern fast jedes Auto jener Jahre: Die Lenkräder bestehen aus glattem Kunststoff, der sich im Winter kalt anfühlt und im Sommer glühend heiß werden kann. Auch der Handschweiß vereitelt dann das griffige Lenkgefühl, das sportliche Autofahrer lieben, weshalb viele von ihnen zu speziellem Autohandschuhen greifen. Dass die großen, dürren Lenkräder oft seltsam nackt aussehen, kommt erschwerend dazu.
Ein weicher Überzieher mit 970 Luftlöchern
Karl Meier aus Wolfsburg hat eine günstige Lösung parat, denn sein „Lenkradschoner Porotherm“ löst die Kontaktprobleme mit aufgeschäumtem Kunstleder, das sich kuschelweich um dem Lenkradkranz schmiegt. Noch dazu bewirken 970 kleine Löcher im Kunststoff „einen ständigen Luftaustausch, der die Hände beim Lenken entspannt und frisch hält.“ Und: Das weiche Porotherm filtert lästige Motorvibrationen zumindest teilweise weg. Es wird schick, das Lenkrad in Schaumkunstleder zu packen, obwohl sich die Hülle anfangs noch nicht wirklich gut am Kunststoffkranz befestigen lässt.
Die Profis fädeln und wickeln
Doch auch dieses Problem hat Kamei bald im Griff: Mithilfe einer angeschweißten Wickelschnur und eines sogenannten Fädelstäbchens lässt sich der Überzug fest mit dem Lenkrad verzurren. Echte Snobs schaffen es sogar, zwei Lenkradhüllen übereinander zu ziehen, was ein besonders feudales Griffgefühl entstehen lässt. Außerdem trennt sich Kamei vom künstlichen Produktnamen Porotherm und nennt die Lenkradhülle jetzt Avus. Die Berliner Rennstrecke ist damals jedem Sportfahrer ein Begriff, dazu passend eröffnet Kamei 1966 eine Autozubehör-Boutique auf dem Kurfürstendamm. Ganz groß im Schaufenster: die atmende Lenkradhülle Avus Super.
Selbst Amerika lechzt nach der Avus-Hülle
Natürlich beschränkt sich deren Verbreitung nicht nur auf den deutschen Markt. Erst greift ganz Europa zu, dann erobert Meiers 18-fach patentierter Bestseller auch Japan und Amerika, wo er sogar auf der Rückseite des Albums „Bad Girls“ von Donna Summer zu sehen ist. In den Neunzigern, bietet Kamei die Überzieher sogar unter den Namen „Route 66“ mit Lederbeschichtung und „Go Hollywood“ in Pastellfarben an. Kurz darauf ist die Zeit der glatten Lenkräder allerdings vorbei: Fast jedes Auto hat jetzt einen Lenkradkranz aus weichem Kunststoff, weshalb Kamei die Produktion nach über 100 Millionen Exemplaren einstellt.
Ab 15 Euro: Noch gibt es neuen Nachschub
Wer eine Avus-Hülle für seinen Klassiker braucht, wird jedoch immer noch fündig: Original verpackte Restposten tauchen im Internet und auf Oldtimermärkten recht häufig auf. Zwischen 15 und 50 Euro kostet es, das authentische Porotherm-Gefühl der Sechziger spüren – oder eben zu erneuern: Denn auch der Wunder-Kunststoff wird nach Jahrzehnten so hart und glatt wie ein Lenkradkranz.
Foto: Kamei