Mann der ersten Stunde
- 04. Mai 2021
- Sicherheit & Praxis
- Michael Petersen
Vor 30 Jahren führte der GTÜ-Prüfingenieur Egon Schäfer aus Wiesloch die erste Hauptuntersuchung der Prüforganisation durch.
Mancher Autofahrer kann es vor 30 Jahren kaum glauben: Die Hauptuntersuchung (HU) soll zu flexiblen Terminen möglich sein, sogar an Samstagen und auch in kleinen Werkstätten? Was jahrzehntelang undenkbar war, wird 1990 wahr. Und die GTÜ Gesellschaft für Technische Überwachung erweitert ihr Portfolio.
Seit 1951 besteht die Pflicht, alle Kraftfahrzeuge regelmäßig auf ihre Verkehrssicherheit hin zu prüfen. 1961 wird die Prüfplakette eingeführt. Mitte 1989 fällt das bis dahin geltende Monopol einer großen Angestelltenorganisation. Danach geht es Schlag auf Schlag: Im Juni 1990 erkennt Baden-Württemberg als erstes Bundesland die GTÜ als amtliche Überwachungsorganisation gemäß Anlage VIII StVZO an. Alle anderen Länder folgen diesem Beispiel. Heute bieten mehr als 2.300 selbstständige und hauptberuflich tätige Kfz-Sachverständige und deren qualifizierte Mitarbeiter an über 11.000 Prüfstützpunkten und eigenen Prüfstellen der GTÜ-Partner die Durchführung der Hauptuntersuchung an.
1951
Seit 1951 besteht die Pflicht, alle Kraftfahrzeuge regelmäßig auf ihre Verkehrssicherheit hin zu prüfen
1961 wird die Prüfplakette eingeführt
1961
1989
Mitte 1989 fällt das bis dahin geltende Monopol einer großen Angestelltenorganisation
Im Juni 1990 erkennt Baden-Württemberg als erstes Bundesland die GTÜ als amtliche Überwachungsorganisation an
1990
Heute
… bieten mehr als 2.300 selbstständige und hauptberuflich tätige Kfz-Sachverständige und deren qualifizierte Mitarbeiter an über 11.000 Prüfstützpunkten und eigenen Prüfstellen der GTÜ-Partner die Durchführung der HU an.
Chancen erkannt – und genutzt
Vor drei Jahrzehnten beobachtet mancher angestellte Prüfingenieur diese Entwicklung ganz genau. Zu ihnen zählt Egon Schäfer aus Wiesloch. Er braucht sich eigentlich keine Sorgen zu machen. Als Leiter einer Prüfstelle des TÜV Südwest in Sinsheim hat der Ingenieur für Maschinenbau und Fahrzeugtechnik einen sicheren Job. Er ist damals Mitte 30, junger Familienvater – und steckt voller Tatendrang.
Nach reiflicher Überlegung steht für Egon Schäfer fest: Er will ein freier und unabhängiger Partner der GTÜ werden. Er kennt seine Chance, Flexibilität ist das Zauberwort. Ein GTÜ-Partner kann zugunsten der Kunden freier handeln. Konkret geht es um Arbeitszeiten, je nach Bedarf kann der Tag früher beginnen und am Abend später enden. Kundenfreundliche Samstagstermine sind eine weitere Idee, sie haben sich damals noch lange nicht durchgesetzt. Viele Autofahrer müssen für die HU während der Woche ein paar Stunden Urlaub nehmen. Servicequalität sieht anders aus, denkt Schäfer.
Hinzu kommt, dass die Kontrollen in dieser Zeit vorwiegend in den Prüfstellen selbst durchgeführt werden. Die Sachverständigen besuchen ein Autohaus oder eine Werkstatt in der Regel nur, wenn dort 20 oder mehr Fahrzeuge für eine HU bereitstehen. Nicht optimal für diese Betriebe. Egon Schäfer ist klar, dass es bei ihnen gut ankommt, wenn sie von ihm von einem Tag auf den anderen eine Hauptuntersuchung bekommen, noch dazu bei sich in der Werkstatt. Zum Beispiel dann, wenn ein soeben verkaufter Gebrauchtwagen kurzfristig ausgeliefert werden soll.
Ich habe die Chance beim Schopf gepackt
Pionier der Prüforganisation
„Ich habe die Chance beim Schopf gepackt“, schaut der Kraftfahrzeugingenieur auf den Sommer 1990 zurück. Er vereinbart einen Termin bei der damaligen GTÜ-Geschäftsführung und fährt bald darauf zur Zentrale nach Stuttgart. Es wird ein intensives Gespräch – und Egon Schäfer zu einem Pionier der Prüforganisation: Er ist der erste Partner mit umfassender Erfahrung beim Durchführen von Hauptuntersuchungen. Um sein Know-how zu teilen, schlägt der GTÜ-Geschäftsführer einen Kompromiss vor. Schäfer kommt in die GTÜ, kooperiert zunächst jedoch mit einem langjährigen GTÜ-Partner. Der Ingenieur nimmt das Angebot an, eine Partnerschaft mit dem Ingenieurbüro Stephan in Heilbronn wird geschlossen.
Egon Schäfer kündigt zum 31. August 1990 bei seinem bisherigen Arbeitgeber. Wenig später reicht er alle Dokumente beim Innenministerium des Landes Baden-Württemberg als zuständige Anerkennungsbehörde ein. Dann heißt es warten. Anrufe voller Ungeduld führen zu nichts. Die Beamten wollen offensichtlich beim ersten neuen Vertreter dieses Überwachungsgebiets alles ganz genau erledigen. Knapp drei Monate vergehen bis zu seiner „Betrauung als Prüfingenieur in einer amtlich anerkannten Kfz-Überwachungsorganisation (aaÜO)“, so der offizielle Ablauf und Wortlaut.
Am 25. November 1990 schließlich sind alle Formalitäten erledigt. „Es ist soweit“, vermeldet telefonisch die GTÜ-Zentrale. Egon Schäfer kauft ein Fläschchen Champagner und fährt gleich am Tag darauf nach Stuttgart. Erst stößt der neue GTÜ-Partner mit der Geschäftsführung auf den Durchbruch an, anschließend erhält er die Vertragsunterlagen sowie die für eine Hauptuntersuchung notwendigen Formulare, Plaketten und Stempel. Und noch am frühen Abend dieses 26. November 1990 führt Schäfer an einem gut gepflegten Golf I Cabriolet des Baujahres 1987 die erste Hauptuntersuchung im Namen der GTÜ durch. Das Prüfergebnis des gut gepflegten Wagens lautet: „Ohne erkennbare Mängel.“
Ohne
erkennbare
Mängel.
Große Zufriedenheit nach 30 Jahren
Egon Schäfer aus Wiesloch ist der Mann der ersten Stunde. Er nutzt die von ihm identifizierten Möglichkeiten, und sein unternehmerischer Mut wird belohnt. Er ist von früh am Morgen bis abends oft nach 19 Uhr im Einsatz, an Samstagen selbstverständlich auch – er lebt Kundennähe. 1994 wird in Wiesloch das großzügige mit drei Gassen errichtete „Prüfzentrum Schäfer“ eingeweiht. 15 Prüfingenieure und Sachverständige gehören zum Team, als er die Geschäftsführung im Jahr 2018, mit 65 Jahren, seinem Sohn Thomas (39) übergibt. „Alles ist sehr gut gelaufen, wir sind sehr zufrieden“, sagt Schäfer im Rückblick.
Die Hauptuntersuchung entwickelt sich zu einem weiteren Erfolgskapitel der GTÜ als Prüforganisation. Denn viele Partner folgen dem Beispiel Egon Schäfers, und so wird die GTÜ auch bei Hauptuntersuchungen mit ihrem umfassenden Netzwerk in ganz Deutschland zügig eine verlässliche Größe im Kfz-Prüfwesen. Alle Partner machen die GTÜ zu der schlagkräftigen und erfolgreichen Überwachungsorganisation, die sie heute ist. Bisher haben weit mehr als 80 Millionen Fahrzeuge bei ihnen die HU absolviert.
30 Jahre Wachstum
Innerhalb der vergangenen drei Jahrzehnte übernimmt die GTÜ immer wieder neue Aufgaben. Als Tätigkeitsfelder kommen etwa Umweltschutz, Energieberatung, Qualitätssicherung, Anlagensicherheit, Arbeitssicherheit und Baudienstleistungen hinzu. Im Kfz-Prüfwesen wird 2019 über die Liberalisierung des § 21 StVZO ein weiterer Meilenstein genommen: Seitdem können die Kunden auch beispielsweise für „Einzelabnahmen“ oder „Vollgutachten“ die GTÜ-Prüfstützpunkte aufsuchen – und tun es umgehend. Schon seit vielen Jahren erstellen GTÜ-Prüfingenieure gemäß § 23 StVZO Gutachten für die Einstufung eines mehr als 30 Jahre alten Fahrzeugs als Oldtimer.