Im richtigen Grip steckt viel Grips

Warum die GTÜ jede neue Reifengeneration unerbittlichen Tests unterzieht.

Reifen auf Tauchgang: Gummi gegen Aquaplaning

In Jeversen, einem Dorf in Niedersachsen, geht es täglich um das schwarze Gold. Hier, nicht weit von Celle, liegt das Contidrom, eine der großen Reifenteststrecken Europas. Auf dem vom Reifenhersteller Continental betriebenen Testareal finden regelmäßig unabhängige Reifentests statt. Auch die GTÜ schickt ihre Experten, um die Leistungsfähigkeit der neuesten Konstruktionen zu prüfen, und hat sich dazu mit den Automobilklubs ACE und ARBÖ zusammengetan. In ihrem Auftrag handeln die versierten Reifentester Marco Lucke und Henning Renner. Die von vielen Fahrzeughaltern unterschätzten Reifen sind für die Sicherheit im Straßenverkehr immens wichtig, entsprechend unerbittlich sind die Prüfer.

Hier gibt es die Ergebnisse auf einen Blick.

Das Testprogramm mit zwei VW Golf VIII dauert eine volle Woche, weil alle Versuche mehrfach gefahren werden, um zu möglichst präzisen Werten zu kommen. Beim Bremsen etwa wird der Testwagen mindestens zehn Mal auf 100 km/h beschleunigt und dann voll verzögert – eine Belastungsprobe für den Reifen, das Auto und den Tester.

Die Dimension wird schnell klar

Jedes Jahr aufs Neue Sommer- und Winterreifentests zu fahren und Empfehlungen abzugeben, macht durchaus Sinn. Reifen müssen heute viel mehr können als früher. Ein Blick auf die Kompaktklasse zeigt es: Deren Anführer, der VW Golf, ist bei seiner Premiere im Jahr 1974 ein federleichtes Auto, das gerade mal 850 Kilogramm wiegt und maximal 70 PS leistet. Dafür reichen Reifen des Regenwurmformats 155 R 13. Und heute? Selbst der leichteste Golf der achten Generation wiegt fast 1,3 Tonnen. Eine Motorleistung von 130 oder 150 PS ist mehr Regel als Ausnahme, damit ist der Golf fast so schnell wie in den Siebzigern die Cheflimousine Mercedes 450 SE. Auch beim Reifenformat übertrifft der VW den Mercedes (205/70 R 14) locker: Ein gut motorisierter Golf VIII ist heute häufig auf Reifen der Dimension 225/45 R 17 unterwegs, ebenso wie viele andere Modelle der Kompaktklasse.

Was sie können, führen die Ergebnisse dieses Reifentests vor Augen. Sie fallen fast durchweg erfreulich aus. „Sehr empfehlenswert, empfehlenswert, keiner schlecht“ vermeldet die GTÜ bei ihrem Sommerreifentest 2021 für die Kompakt- und Mittelklasse. Testsieger und zugleich der zweitgünstigste Reifen des Vergleichs ist der Nexen N’fera Sport SU2. Dicht gefolgt vom Nokian Wetproof, der mit einem Preis von unter 100 Euro pro Stück ebenfalls zu den preiswerteren Pneus im Test zählt.

Vieles ist eine Frage der Haftung

Das Angebot wird internationaler

Fünf Reifen mit Auszeichnung, vier mit Prädikat – und trotzdem zeigt auch die aktuelle Testreihe: Der Null-Fehler-Reifen liegt noch immer nicht in den Lagern. Also muss sich der Kunde die Reifenmarken merken? Es ist nicht zwingend notwendig, doch es kann bei der Auswahl helfen – auch deshalb, weil zu den bekannten Branchengrößen wie Continental, Goodyear oder Michelin Aufsteigermarken hinzukommen. Dazu zählen etwa Nexen aus Südkorea oder Maxxis aus Taiwan. Auch das restliche Testfeld zeigt, wie global die Reifenindustrie heute agiert: Die frühere US-Marke BF Goodrich gehört zu Michelin, Laufenn ist eine Tochtermarke von Hankook aus Südkorea. Die finnische Marke Nokian führt auf den skandinavischen Märkten, Falken gehört zu den Marktführern in Japan.

Wenn die Fahrbahn trocken ist, gibt es hier keine großen Unterschiede – zumindest auf den ersten Blick. Die besten Bremswerte liefert der Continental, mit ihm kommt der Golf schon nach 34,5 Metern zum Stehen. Aber selbst bei den Schlusslichtern Goodyear und Maxxis sind es nur 36 bzw. 36,1 Meter, das reicht immer noch für 26 von 30 Punkten in der Wertungstabelle. Für sich gesehen sind das sehr gute Werte; in den späten Neunzigern stehen Modelle der Golf-Klasse erst nach 40 Metern, ohne dass sich Autotester aufregen. Doch was schon anderthalb Meter im Alltag bedeuten, zeigt sich beim Blick auf die Restgeschwindigkeit: Während der Test- Golf mit den Continental-Reifen schon steht, hat er mit den Wettbewerbern von Goodyear oder Maxxis noch etwas mehr als 20 km/h drauf.

Die Dynamik der Kurven

„Auf dem Trockenkurs sind heute fast alle Reifen gut“, urteilt Tester Henning Renner. Dreimal umfährt er mit jedem Testreifensatz den 3,8 Kilometer langen Großen Handlingkurs, das GPS-Gerät hält die Rundenzeiten fest. Sie liegen mit allen Testreifen ganz knapp unter zwei Minuten – mit Abweichungen von weniger als einer Sekunde. Wenn sich hier Unterschiede abzeichnen, dann in jener Disziplin, die kein Messgerät abbilden kann: in der subjektiven Wahrnehmung des Fahrdynamik-Experten. So zeichnet sich der Maxxis durch besonders gutes Ansprechen auf Lenkbefehle aus, während der Nokian eine leichte, aber völlig unkritische Übersteuerneigung aufweist. „Alle haben ein gutes Lenkverhalten und guten Grip, zeigen nur leichtes Untersteuern in Kurven und kaum Lastwechselreaktionen in Kurven“, lobt Henning Renner. Wahrscheinlich bekämen sie am Ende alle das Prädikat „Sehr empfehlenswert“ – wenn es nicht öfter mal regnen würde. Denn Kenner wissen, dass sich Reifentests auf nassem Asphalt entscheiden.

Es beginnt beim Bremsen: Hier stemmt sich der Test-Golf am entschiedensten in den Asphalt, wenn Michelin-Reifen montiert sind. Er steht, voll verzögert aus 100 km/h, schon nach 48 Metern. Damit sammelt er in der Tabelle die 30 maximalen Punkte, doch schon der Zweitbeste von Continental braucht zwei Meter mehr. Es folgt ein großes Mittelfeld mit Bremswegen zwischen 52,1 und 53,9 Metern. Und ein klarer Verlierer: Mit dem Maxxis steht der Golf erst nach 56,9 Metern. Oder anders gerechnet: Wenn der Golf mit den Michelin-Reifen schon steht, ist er mit dem Maxxis noch fast 40 km/h schnell.

Hier geht’s rund: Härtetest im Contidrom

Der Schwimm-Kurs ist besonders hart

Bei den Aquaplaning-Eigenschaften verändert sich das Bild. Hier wird bei einer Wasserhöhe von neun Millimetern gemessen, wann der Reifen bei Geradeausfahrt aufschwimmt. Der Test-Golf mit Maxxis-Reifen bleibt am längsten lenk- und beherrschbar, während der Grip des Laufenn bereits bei 70,5 km/h abreißt. Und auch bei der Kurvenfahrt auf nasser Strecke schneidet der Maxxis besonders gut ab. Am Ende bringt ihn das schwache Nassbremsen sogar um den Gesamtsieg. Die Handling-Fahrversuche auf nasser Strecke bestätigen den Eindruck, dass es den perfekten Regenreifen in diesem Vergleich nicht gibt. In zwei Durchgängen befährt Henning Renner den 1.800 Meter langen Nasshandling-Kurs, beide Male dokumentiert das GPS-Messgerät Unterschiede von bis zu fünf Sekunden – das ist ein Wort. Am besten schneiden Continental und Michelin ab: Sie bieten guten Grip, untersteuern nur leicht und sprechen fein auf Lenkbewegungen an. Weniger einverstanden ist Fahrdynamik-Spezialist Henning Renner mit dem BF Goodrich und dem Laufenn. Sie zeigen eine zu markante Untersteuerneigung und enttäuschen mit schwacher Seitenführung. Auch bei der Lenkpräzision halten sie nicht mit den Besten mit.

Natürlich bremst das ESP den Golf zuverlässig ein, bevor es haarig wird. Und doch lassen sich heikle Situationen besser meistern, wenn das Auto ganz genau so reagiert, wie es der Fahrer erwartet. Grip und Grips gehören zwingend zusammen.

Der ACE ergänzt unseren Testbericht um ein Video vom Sommerreifentest.

Ein wohliger Schauer sieht anders aus…