- 26. April 2021
- Sicherheit & Praxis
- Annett Boblenz
Freigabe oder nicht
Hintergrund: Weil nicht jeder Motorradfahrer die neue Regelung zu den Reifenfreigaben kennt, droht Ärger in der Prüfhalle.

Eine unscheinbare Notiz im Verkehrsblatt 15/2019 enthält jede Menge Zündstoff. Das Amtsblatt des Verkehrsministeriums veröffentlichte eine neue Regelung zu Reifenfreigaben für Motorräder. Konkret: Will man andere als die in den Fahrzeugpapieren aufgeführten, aber bislang freigegebenen Größen oder Fabrikate fahren, muss man diese jetzt prüfen und eintragen lassen. Denn wenn die aufgezogenen Reifen nicht zu den Papieren passen, verliert das Motorrad die Betriebserlaubnis. Das betrifft alle ab dem Jahr 2020 produzierten Reifen. Für ältere Pneus besteht Bestandsschutz.
Damit wischt das Verkehrsministerium mit einem Handstreich eine seit 2008 bewährte Praxis vom Tisch und zwingt Motorradfahrern einen langwierigen und teuren bürokratischen Prozess auf. Denn bislang genügte es, bei der Hauptuntersuchung oder bei Verkehrskontrollen eine Freigabe des Reifenherstellers vorzulegen. Schließlich beruhen diese Freigaben auf ausführlichen Fahrtests – im Hinblick auf das Fahrverhalten ebenso wie auf die Technik.
Das Verfahren betrifft neue und ältere Modelle
Nachdem die Zeitschrift MOTORRAD dies aufdeckte, regt sich heftiger Widerstand in der Branche. Denn das Verfahren betrifft neue Motorräder ebenso wie ältere. Zwar können Fahrer aktueller Maschinen das Problem relativ einfach umschiffen, da die vom Hersteller vorgeschriebenen Reifen meistens lieferbar sind. Schwieriger wird es für Besitzer von Youngtimern oder noch älteren Maschinen. Häufig stehen Zollgrößen wie 4,25/85-18 in den Papieren, die kaum noch erhältlich sind. Solche Bikes rollen in der Regel auf Pneus der Dimension 120/90-18 mit passender Freigabe. Sie werden künftig bei der Hauptuntersuchung ein Gutachten benötigen.
Glück im Unglück haben Besitzer einer Honda CB 750 Four aus den 1970er-Jahren. Auch dort sind Zollgrößen eingetragen. Bridgestone hatte jedoch rechtzeitig reagiert und kann einen aktuellen Reifen in den geforderten Zollmaßen liefern.
Anderes Beispiel: Die Honda CBR 600 F von 1986 wurde mit 130/80er-Hinterradreifen verkauft. Schon bald stellten die japanischen Ingenieure fest, dass das etwas breitere Maß 140/80er dem sportlichen Fahrverhalten der 600er entgegenkommt. Die Marke erteilte eine Unbedenklichkeitsbescheinigung. Eintragen musste man die Reifen nicht, die Freigabe des Herstellers reichte aus, um die HU zu bestehen. Nun aber wird ihren Haltern wieder die alte, weniger fahraktive Dimension aufgezwungen – sofern sie die anderen Reifen nicht eintragen lassen. Für viele Modelle aber gibt es überhaupt keine Reifen mehr in Originalgrößen, da mittlerweile bessere und sicherere Dimensionen freigegeben wurden. Auch hier sind Gutachten nötig.
Selbst Besitzern aktueller Maschinen könnte die neue Regelung Probleme bescheren. Dann nämlich, wenn ihr Bike schon ab Werk mit anderen als in den Papieren aufgeführten Reifen ausgeliefert wird – was durchaus Usus ist. So berichtet ein Leser in MOTORRAD, dass er seine neue Harley-Davidson Fat Bob 2018 mit Reifen der Dimension 150/80 16 71H übernahm, obwohl in den Papieren 150/80 B16 71H eingetragen sind. Würde er den Originalreifen einfach ersetzen, müsste er ihn nun eintragen lassen. Gleiches gilt, wenn wie häufig bei Enduros eine Bauart vorgegeben wird, also radial, diagonal oder Gürtelreifen.
Wenn der Motorradfahrer abweichende Pneus fährt
Was bedeutet die neue Vorgehensweise nun genau für den Motorradfahrer, wenn die Hauptuntersuchung ansteht und er von den Papieren abweichende Pneus fährt? Der erste Blick sollte der Flanke gelten. Dort findet sich die vierstellige DOT-Nummer, die das Produktionsdatum angibt. Die letzten beiden Ziffern geben das Herstellungsjahr an. Endet die DOT-Nummer nicht mit 20, ist alles im Lot. Bis Ende 2025 genügt dann die Reifenfreigabe des Herstellers.

Und auch danach gibt es grünes Licht für Besitzer älterer Motorräder, bei denen eine konkrete Reifenbindung besteht. Solange sie alle technischen Vorgaben einhalten, also Pneus passender Größe und mit entsprechendem Geschwindigkeitsindex wählen, dürfen sie ein abweichendes Fabrikat fahren.
Wurde dagegen ein Reifen aus dem Jahr 2020 aufgezogen, der nicht den Vorgaben entspricht, fällt ein Nachweis nach § 19 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 StVZO beziehungsweise eine Begutachtung gemäß § 19 in Verbindung mit § 21 StVZO an. Klingt kompliziert? Ist es auch. Kurz zusammengefasst bedeutet dies, dass der Prüfer die Reifen begutachten muss. Liegt eine technische Freigabe des Herstellers vor, die ja auf Fahrtests beruht, so genügt dieses Gutachten, um die Reifen bei der Zulassungsstelle eintragen zu lassen. Unnötiger Formalismus ohne Mehrwert für den Bürger, beklagt Achim Penisch, bei Michelin für Motorradreifen zuständiger Produkttechniker, gegenüber MOTORRAD. Denn die Reifen seien ja bereits ausführlich getestet, so das Argument der Hersteller. „Eine Gefährdung ist bei Vorliegen einer Herstellerbescheinigung und entsprechender Nutzung nicht gegeben.“
Der Sachverständige muss das Motorrad selbst fahren, um zu klären, ob eine Gefährdung vorliegt oder nicht.

Kann der Motorradbesitzer keine solche Freigabe vorlegen, müssen eigens dafür qualifizierte Sachverständige Fahrtests durchführen und ermitteln, ob eine Gefährdung vorliegt und dann die Betriebserlaubnis erlischt. Teuer wird’s immer. Im schlimmsten Fall summieren sich Fahrtests samt Gutachten und neuen Reifen auf 400 Euro. Es droht also Ungemach in der Prüfhalle, denn nicht jeder Motorradfahrer kennt bis dato die neue Praxis und wird darüber erfreut sein.
So bereiten Sie Ihr Motorrad auf die Hauptuntersuchung vor.
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