- 30. April 2021
- Sicherheit & Praxis
- Peter Thomas
Erste-Hilfe-Equipment im prüfenden Blick
Die Kontrolle des Verbandkastens ist bei der Hauptuntersuchung (HU) seit 50 Jahren gesetzlich vorgeschrieben. Bei der GTÜ gehört dieser Schritt von Beginn der HU mit dazu. Besondere Exemplare bekommt Prüfingenieur Patrick Schiefer vom Ingenieurbüro Olf aus Darmstadt vor allem bei Klassikern zu sehen.
Ist ein Autohalter beim Auffrischen seines Verbandkastens nicht aufmerksam genug gewesen? Das erkennt der GTÜ-Prüfingenieur Patrick Schiefer bei der Hauptuntersuchung schon auf den ersten Blick: „Wenn das sterile Verbandmaterial beim Öffnen des Sets darin locker herumrollt, fehlen für gewöhnlich all jene Bestandteile des Verbandkastens, die nicht im Nachfüllpack enthalten sind“, sagt der 52 Jahre alte Maschinenbauingenieur. Das Ergebnis: Der Verbandkasten ist nicht vollständig, und es wird ein geringer Mangel im Prüfbericht vermerkt. Für den Autofahrer ist das doppelt ärgerlich, hat er doch rechtzeitig vor der HU das Ablaufdatum seines Verbandkastens kontrolliert. Der Rat des Praktikers: Am einfachsten lässt sich dieser Fehler vermeiden, indem man stets einen vollständigen, aktuellen Verbandkasten nachkauft. Seit dem Jahr 2014 dürfen in Deutschland nur noch Kfz-Verbandkästen verkauft werden, die der Norm DIN 13164 entsprechen. Oder man achtet eben akribisch darauf, dass beim Austausch der abgelaufenen Sterilprodukte alle anderen Bestandteile im Set bleiben.
Pflicht zur Prüfung seit 1971
Als die GTÜ im Jahr 1990 die Hauptuntersuchung in ihr Leistungsprogramm aufgenommen hat, gehörte die Verbandkastenkontrolle schon lange zur HU. Erstmals vorgeschrieben war das vom 1. Januar 1971 an: Seit diesem Stichtag vor 50 Jahren muss bei der HU geprüft werden, ob ein der jeweils geltenden Norm entsprechender Verbandkasten an Bord ist und ob er vollständig ist. Ein Jahr zuvor wurde zum ersten Mal das Mitführen eines Verbandkastens durch die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) für neu zugelassene Personenwagen vorgeschrieben.
Und wie steht es heute um die Verbandkästen in deutschen Automobilen? Die GTÜ-Statistik für das Jahr 2019, wonach bei weniger als 0,5 Prozent der rund 3,4 Millionen ausgeführten HU der Verbandkasten komplett fehlte oder unvollständig war, deckt sich mit den Erfahrungen von Patrick Schiefer. Häufiger hingegen kommen abgelaufene Verbandkästen vor, sagt der Prüfingenieur. Typisch sei das bei der zweiten HU eines Personenwagens, wenn dieser durchschnittlich fünf Jahre alt ist – denn fünf Jahre beträgt auch die klassische Mindesthaltbarkeitsdauer eines Verbandkastens. Das allein rechtfertigt aber noch keinen Mangel im Prüfprotokoll: Bei abgelaufenem Sterilmaterial gibt es stattdessen einen Hinweis.
Patrick Schiefer ist seit 2003 GTÜ-Prüfingenieur, er arbeitet seit 2002 für das Ingenieurbüro Olf in Darmstadt. Der Betrieb hat insgesamt 40 Mitarbeiter, darunter 22 Prüfingenieure und drei Sachverständige. Seit dem vergangenen Jahr ist der Diplomingenieur Fachrichtung Maschinenbau auch Unterschriftsberechtigter des Technischen Dienstes der GTÜ. Das Thema Erste Hilfe ist ihm ein besonderes Anliegen, im Ingenieurbüro ist er auch für die Arbeitssicherheit verantwortlich.
Rockmusik und Oldtimer
Aus seiner Praxis der Hauptuntersuchungen kennt Schiefer nicht nur die alltäglichen Verbandkästen in nüchterner Hülle aus Kunststoff oder robustem Textilgewebe: Es gibt beispielsweise auch Sondereditionen mit farbenfrohen Motiven – bis hin zum sympathischen kleinen Drachen aus der Rockmusik. „Der Inhalt muss aber immer gleich sein, um der Norm zu entsprechen“, betont der GTÜ-Prüfingenieur.
Vielfältig sind auch die Verbandkästen von Liebhabern klassischer Automobile: Einige wählen historische Hüllen aus der passenden Epoche, um das moderne Erste-Hilfe-Material in ihrem Fahrzeug zu verstauen. Vorbilder gibt es genug, schließlich kamen erste Kraftfahrzeugverbandkästen schon in den 1920er-Jahren auf, also vor rund einem Jahrhundert.
Manche Fahrer von Old- und Youngtimern haben gleich zwei Erste-Hilfe-Sets an Bord: Den aktuellen Verbandkasten für den Notfall und ein historisches Exemplar als Requisit der automobilen Klassik. Das kommt häufig bei solchen Fahrzeugen vor, die ihr Erste-Hilfe-Material ursprünglich gut sichtbar auf oder in der Hutablage untergebracht hatten. Typisch dafür waren Kissen aus Kunstleder oder eine Ablage mit Klappdeckel. Dem Verbandmaterial setzten freilich Sonnenlicht und Hitze erbarmungslos zu und machten es unbrauchbar. Und im Notfall war das Set zudem nicht wirklich gut zu erreichen.
Guter Rat
Der Prüfingenieur freut sich, wenn sich Kunden bei der Hauptuntersuchung im Dialog mit den GTÜ-Experten über den richtigen Umgang mit dem Verbandkasten informieren. Sein guter Rat: Optimal aufgehoben ist das Set in Griffweite des Fahrersitzes – am besten in der Tür oder in einer Tasche hinten an der Rückenlehne. Das Verstauen unter dem Sitz ist dagegen nur dann sinnvoll, wenn dort fahrzeugseitig eine entsprechende Schublade verbaut ist. Sonst könnte man versehentlich Steckverbindungen von Kabeln lösen, die dort verlaufen. Und in einem seitlichen Fach vorn im Kofferraum ist der Verbandkasten zwar auch schnell zur Hand. Aber, so fragt Schiefer, was ist bei einem Heckaufprall, wenn die Kofferraumklappe nicht mehr zu öffnen ist? Also alles in Ordnung, wenn der Verbandkasten die Kontrolle bei der HU besteht? Die GTÜ weist darauf hin, dass die Erste-Hilfe-Ausrüstung an Bord nur eine Seite der Medaille ist. Genauso wichtig: Man muss auch wissen, wie man damit umgeht. Aus gutem Grund schreibt die StVZO seit 1970 auch vor, dass für den Erhalt eines Führerscheins ein absolvierter Erste-Hilfe-Kurs („Unterweisung in Sofortmaßnahmen am Unfallort“) notwendig ist. Entsprechende Lehrgänge bieten zahlreiche Hilfsorganisationen an. Die GTÜ rät, einen solchen Kurs regelmäßig alle drei bis fünf Jahre zu belegen. Denn das Wissen kann helfen, Leben zu retten – bei einem Verkehrsunfall ebenso wie bei anderen Notfällen.