Bernd Mayländer: Was jeder von der Formel 1 lernen kann

Sicherheit ist nicht nur im Safety-Car sein Thema.

Arbeitsplatz Rennstrecke, Dienstwagen Safety-Car (Fotos: Mercedes-Benz Group AG)

Sanft bremst der mattgraue Mercedes GT 63 S AMG herunter, als vor ihm ein orangefarbenes Blinklicht auftaucht. Bernd Mayländer muss im Tunnel einem Fahrzeug der Straßenreinigung hinterherschleichen. Das gelingt dem 51-Jährigen ganz entspannt: „Jetzt spüre ich auch mal, wie sich die Formel-1-Fahrer sonst hinter mir fühlen…“ Denn Mayländer fährt seit dem Jahr 2000 das Sicherheitsfahrzeug in der Königsklasse des Motorsports. Beim Saisonfinale am 20. November in Abu Dhabi bestreitet er seinen 430. Grand Prix in Diensten des Automobilweltverbandes FIA. Keiner in der Formel 1 kommt auf annähernd so viele Einsätze. Auch sonst beschäftigt sich der Schorndorfer viel mit Autofahren und Sicherheit, arbeitet beispielsweise als Instrukteur. Ein Interview, das rund um die Welt entstanden ist, von Singapur über Texas bis ins Remstal. Zehn Fragen und Antworten rund um Motorsport und Straßenverkehr, um Technik und Sicherheit.

Sie verbringen die Hälfte Ihrer Wochenenden an den Rennstrecken der Welt. Kann der herkömmliche Autofahrer etwas von der Formel 1 lernen?

„Ich würde sagen: Ja. Und zwar die Effizienz. Das betrifft aber nicht nur die Motoren, sondern auch die Fahrweise. Jeder spricht über die Reichweite seines Autos, bei Hybrid- und Elektrofahrzeugen ist das Thema nochmal wichtiger. Die meisten meckern eher darüber. Aber sie können auch selbst etwas dazu beitragen, wenn sie effektiver fahren. Für Formel-1-Piloten ist das Haushalten mit der Energie ein wichtiger Teil ihrer Arbeit im Cockpit. Das geht auch im Privatwagen. Nur müsste es dem normalen Autofahrer auch erklärt werden, am besten schon von einem entsprechend ausgebildeten Verkäufer, wenn er sein neues Auto abholt. Bei mir war das nicht der Fall, ich habe mir das selbst beibringen müssen. Aber ich hatte auch den Vorteil, dass ich früher Langstreckenrennen gefahren bin, da hat man am Ende der Runde den Rennwagen rollen lassen, um ganz zum Schluss noch genügend Sprit und Leistung zu haben.“

Routine macht entspannt: Bernd Mayländer im Cockpit

Den Autofahrern von heute wird ja auch praktisch alles von der Technik abgenommen…

„Auch das gehört für mich zum effizienten Denken, in dem ich mich schon bei der Kaufentscheidung frage: brauche ich im Alltag wirklich alles, was mir der Hersteller an Zusatzausstattungen anbietet? Wie oft fährt bei mir jemand hinten mit und benötigt beispielsweise die Massagefunktion? Wenn man sich das ehrlich fragt und noch ehrlicher beantwortet, dann lassen sich eine Menge Kilos sparen, die man nicht mitschleppen muss. So lässt sich auch Energie sparen!“

Machen Sie es wie die Rennfahrer im Cockpit.

Gibt es umgekehrt auch etwas, dass die Formel 1 vom Straßenverkehr lernen kann?

„Straßenautos haben den großen Vorteil, dass sie unter allen Bedingungen immer fahren können, Reifen und Witterung sind kein Problem. Aber den noch größeren Vorteil haben natürlich die Fahrer und Besitzer: während im Rennsport das technische Reglement den Konstrukteuren wenig Spielraum lässt, können sich die Automobilhersteller auf der Straße so richtig entfalten. Für mein Gefühl gibt es so viele individuelle Modelle wie nie zuvor, in allen Kategorien.“

Safety-Car und Medical Car kommen von AMG-Mercedes

Welchen Tipp haben Sie als Safety Car-Pilot für den Straßenverkehr?

„Viele Menschen sind heute so sehr mit sich selbst und dem Multimediaangebot in ihrem Auto beschäftigt, sie haben verlernt, den Verkehr „zu lesen“. Heißt: ihnen fehlt der große Vorausblick. Sie stellen sich nur noch darauf ein, was der direkte Vordermann macht. Das ist nicht ungefährlich. Hinter dem Steuer musst Du Dich immer auf das konzentrieren, was um Dich herum geschieht, was weiter vorn passiert. Diese Sichtweise hat mir auch als Rennfahrer schon geholfen.“

Wenn Sie in der Formel 1 ausrücken, dann dient das der Sicherheit. Wie sicher ist der Motorsport von heute überhaupt?

„Ein ganz entscheidender Schritt war die Einführung des „Halo“ genannten Cockpit-Schutzes, der hat in den letzten Jahren vielen Fahrern das Leben gerettet. Aber zu sicher kann es nie geben im Motorsport, deshalb wird immer weiter verbessert und verschärft. Das Bemühen um noch mehr Sicherheit darf auch nie nachlassen. Besonders verletzlich sind Rennwagen beim Seitenaufprall, die Knautschzonen und Crashstrukturen sind dort naturgemäß geringer. Da geht es ihnen wie den herkömmlichen Autos – nur, dass diese eben eine Vielzahl von Airbags haben.“

Bernd Mayländer kann die Formel 1 an der Nase herumführen

Und welche große Sicherheitsfrage stellt sich heute im Straßenverkehr?

„Die Elektrifizierung bringt durch die Akkus größere, anders verteilte Gewichte mit sich. Mit denen muss man erstmal umgehen lernen. Das fängt beim Bremsen an – wie lässt sich die Masse und ihre Energie in richtige Bahnen lenken. Das ist ein noch neues, verändertes Sicherheitsspektrum. Ich sehe es als richtige und wichtige Herausforderung, dafür entsprechende Lösungen zu finden.“

Was Bernd Mayländer mit Heiner Lauterbach zu tun hat.

Früher wurde im Motorsport die Auto-Technik von morgen unter extremen Bedingungen getestet. Heute entstehen Pkw am Computer, werden auf Prüfständen fit gemacht. Worin ist die Formel 1 denn noch Vorreiter?

„Mit dem nächsten Motorenreglement werden von 2026 an die e-fuels Pflicht. Weil es sich um die Königsklasse des Motorsports handelt, fließen da natürlich Hochleistungsvarianten der synthetischen Kraftstoffe. Die wären zu teuer für die Tankstelle, aber für uns alle ist es wichtig, dass dieser zukunftsfähige Sprit am Limit getestet werden. Daraus lässt sich für die Hersteller viel lernen, was dann dem normalen Verkehr zu Gute kommt. Die Formel 1 kann da ein wichtiger Treiber sein. Denken wir doch nur an die riesige Gemeinde der Oldtimerfahrer- und freunde. Mit e-fuels lassen sich Verbrennermotoren länger betreiben. Und wenn alte Autos länger fahren können, ist das ja auch eine Form von Nachhaltigkeit.“

Herkunft Mercedes: Mit Hans Herrmann in einem alten Silberpfeil

Auf dem von Heiner Lauterbach produzierten Portal „Meet your master – Lerne von den Besten“ werden Sie als künftiger Coach angekündigt. Was dürfen da erwarten?

„Stellen Sie sich einen Fahrkurs vor, nur eben online. Ich zeige den Menschen, wie sie besser Autofahren. Meines Wissens nach gibt es so etwas auf einer e-Learning-Plattform noch nicht. Von mir gibt es Tipps für alle möglichen Situationen. Denn das Angebot soll alle ansprechen, vom Einsteiger bis zu den Senioren. Wenn die Leute Skifahren gehen, dann machen sie Wochen vorher Gymnastik, Dehnen sich, überprüfen ständig das Material. Aber ins Auto steigt jeder einfach so, weil das Auto ja scheinbar alles selbst kann.“

Dann haben Sie uns doch bestimmt heute schon einen besonders wichtigen Fahr-Tipp?

„Ich glaube, den Spruch gab es schon mal, aber ich zitiere ihn hier gern wieder: Augen auf im Straßenverkehr! Und Sie können mir glauben, dass ich den bis heute auch im Safety-Car immer wieder anwende, wenn ich den Scheitelpunkt einer Kurve ein paarmal nicht richtig getroffen habe. Wir Rennfahrer wissen: das Auto fährt dahin, wo das Auge hingeht. Mit dieser scheinbar simplen Weisheit bekommt man seinen Wagen wieder in Griff.“

Wird Ihnen Autofahren nie zu langweilig?

„Autofahren wird für mich immer etwas Besonderes sein, gerade auch längere Strecken. Ich bin bekennender Automobilist.“

Teil deutscher Renngeschichte: Mayländer im Mercedes-Benz Museum

Bernd Mayländer: Aus dem Remstal in die Formel 1

Er ist einer der bekanntesten Rennfahrer Deutschlands, und er führt – im positiven Wortsinn – die Formel 1 an der Nase herum. Ohne das Safety-Car würde kein Grand Prix gestartet, und in seiner 23. Saison am Steuer des Sicherheitsfahrzeuges hatte er reichlich zu tun. Was für die Rennwagen hinter ihm langsam ist, erfordert von Mayländer wechselweise im Mercedes-AMG GT Black Series und dem Aston Martin Vantage höchstes Tempo und höchste Konzentration. Und natürlich eine Vergangenheit als Rennfahrer: 1994 war der heute 51-Jährige der jüngste Champion im Porsche Carrera Cup, später wurde er Werksfahrer für Mercedes-Benz in der DTM und der FIA-GT-Meisterschaft, gewinnt das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring. Der Familienvater ist Instrukteur und Markenbotschafter von AMG-Mercedes – und lässt im Nebenberuf seinen eigenen Wein im unweit von Stuttgart gelegenen Remstal anbauen. www.berndmaylaenderwine.com