- 04. August 2022
- Einblicke & Chancen
- Michael Petersen
Was für ein Typ! GTÜ prüft Bergretter
Gestatten, Bogner ATSC: So heißt das flammneue Fahrzeug im GTÜ-Testlabor in Stuttgart.
Es sieht aus wie ein geschrumpfter Rettungswagen üblicher Prägung. Denn mit einer Länge von rund drei Metern ist er nicht nur halb so lang, sondern auch deutlich schmaler und niedriger. Das ist gewollt, es macht das „All Terrain Special Car“ (ATSC) kompakt, wendig und geländegängig. Das lässt Sanitäter und Helfer zu Verunglückten kommen, die sonst allenfalls nur zu Fuß, mit einem Quad oder mit einem Helikopter zu erreichen wären. Das ATSC bringt einen Verletzten dann zum großen Rettungswagen an der nächsten Fahrstraße oder – mit künftiger Straßenzulassung – sogar direkt ins Krankenhaus.
Ein besonderes Projekt auch für die GTÜ
Zuvor steht noch eine besondere Prüfung beim Technischen Dienst der GTÜ an. Der routinierte GTÜ-Unterschriftsberechtigte Martin Späth, normalerweise eher zurückhaltend, kommentiert: „Das ATSC auf die Straße zu bringen ist ein superspannendes und ganz besonderes Projekt.“ Seit gut einem Jahr begleiten Späth und seine ebenfalls sehr erfahrenen Ingenieurkollegen Patrick Kohl und Alfred Tamm vom Technischen Dienst der Prüforganisation mit Prüfungen und Gutachten den Weg bis zur Typgenehmigung als Rettungsfahrzeug – eine Voraussetzung für die Straßenzulassung. Denn auch ein Kleinserienhersteller muss sehr viele technische Vorgaben erfüllen.
In den Bergen und am Wasser
Vor Martin Späth in der großzügigen Halle mit Hebebühnen und Messeinrichtungen steht ein Prototyp des ATSC, entstanden bei der Edelstahlverarbeitung Bogner GmbH aus dem niederbayerischen Bogen. Späth erkennt sofort: „Dieses Rettungsfahrzeug füllt eine Nische, die bisher nicht bedient wurde.“ Zur Zielgruppe gehören neben der Bergrettung auch Wasserschutz, Technisches Hilfswerk oder Katastrophenschutz. Daher ist das Herzstück des ATSC der genormte Tragetisch für die Krankentransportliege. Ob Fahrtrage, Gebirgstrage oder Akja-Transportschlitten – jede Variante passt rechts in den Wagen und reicht dann neben dem Fahrer bis nahe der Windschutzscheibe. In der beheizten Kabine findet neben dem Unfallopfer auch eine Begleitperson Platz. Ein Schienensystem an Dach und Seitenwand erleichtert den Einsatz von medizinischem Gerät.
Volle Härte im GTÜ-Labor
An diesem Tag im GTÜ-Labor prüfen die Experten Abmessungen, die Außenkanten der Radläufe aus Kunststoff, die Lichtanlage samt Blaulicht und entsprechenden Blitzern am Heck oder auch eher profane Dinge wie die Sichtbarkeit des Kennzeichens. Alles muss den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen. Es geht zur Sache: 68 Kilogramm schwere, mit Wasser gefüllte Boxen simulieren die Personen in den Sitzen. Das Gurtsystem oder die Verankerung des Tragetischs werden sehr hohen Kräften ausgesetzt. Mehrere Proberunden im ATSC rund um das GTÜ-Gebäude liefern Daten zu Lenkeinschlag und Lenkkräften. „Die zeichnen wir mit unserer V-Box auf, einem der teuersten mobilen Prüfgeräte im GTÜ-Labor“, erklärt Martin Späth.
Große Erwartungen an den kleinen Retter
Josef Bogner verfolgt die Arbeit des Unterschriftsberechtigten des Technischen Dienstes höchst konzentriert. Sein Unternehmen ist spezialisiert auf den Ausbau von Rettungs- und Feuerfahrzeugen. Als ehrenamtlicher Feuerwehrmann kennt er den harten Alltag der Retter aus verschiedenen Perspektiven. So entstand seine Idee für ein kleines Rettungsfahrzeug von hoher Qualität. Vor zwei Jahren hat er beim Kraftfahrt-Bundesamt eine erste Anfrage über die mögliche Zulassung seines „All Terrain Special Car“ gestellt. Die Resonanz war grundsätzlich positiv. Doch seither erfährt er, dass der Weg des ATSC auf die Straße lang, schwierig und durchaus kostenintensiv ist.
Ein bewährter Allradler als Basis
Als Fahrzeugbasis dient das handelsübliche kleine Transportfahrzeug John Deere „Gator HPX“, von Haus aus geländegängig. Zur technischen Grundausstattung gehören ein permanenter Allradantrieb mit Differenzialsperre und ein Automatikgetriebe mit Gelände- und Straßenübersetzung. Der kleine Dieselmotor mit 1.000 Kubikzentimetern Hubraum leistet 14 kW (20 PS) – ausreichend für eine Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h. Josef Bogner hat auch über einen Elektromotor nachgedacht: „Doch das ist zu früh angesichts der in den Bergen oft fehlenden Ladeinfrastruktur.“ Zumal im Katastrophenfall – wie bei Lawinenabgängen, Erdbeben oder Überschwemmungen – mitunter Stromausfälle die Einsatzlage verschärfen können.
Der Erfinder ist mit viel Herz dabei
Den kompletten Aufbau des Fahrzeugs aus pulverbeschichtetem Edelstahl mit eingesetzten Aluminium-Waben-Struktur-Platten haben Bogners Fachleute in Eigenregie entworfen. Dieser ist nicht nur praktisch, sondern auch stabil. Das belegen bereits drei bestandene Überroll-Crashtests. „Der Frontalcrash des gesamten Fahrzeugs steht noch aus“, erklärt Josef Bogner. Die Tests bei der GTÜ regen immer wieder zu sinnvollen Nacharbeiten an. „Aber zum größten Teil ist das ATSC nun bereit für die Typgenehmigung“, stellt Späth mit Zuversicht fest. Das hört Josef Bogner gern: „Dieses Fahrzeug ist eine Herzensangelegenheit für mich.“
Der Weg zur Straßenzulassung
Bevor ein technisches Produkt wie der Rettungswagen Bogner ATSC in Serie auf den Markt kommt, benötigt er eine Typgenehmigung, in diesem Fall vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Bei Fahrzeugen – oder auch Bauteilen, Systemen und anderen technischen Einheiten – bildet die GTÜ eine Schnittstelle zwischen Hersteller und Genehmigungsbehörde. Vor allem kleinere Unternehmen ohne eigene Homologationsabteilung nutzen die Vernetzung und Erfahrung der GTÜ. Zunächst wird gemeinsam ein Prüfkatalog erstellt mit aktuellen und auch bereits absehbaren gesetzlichen Produktanforderungen. Alle für die Genehmigung erforderlichen Gutachten und Prüfungen übernimmt die GTÜ, ebenso die Kommunikation mit den Behörden während des gesamten Genehmigungsprozesses – ein gemeinsamer konstruktiver Weg bis hin zur Marktreife.