- 12. September 2025
- Einblicke & Chancen
- Elmar Brümmer
Stadt, Land und Verkehrsfluss
Ein Auto braucht vor allem einen Antrieb: den Spaß am Fahren.
Warum sich dem Fahrspaß nicht philosophisch nähern, wie es die Kollegen von „ramp“ getan haben: „Das Auto umschließt, schmiegt sich an, relativiert das Belanglose und übererregt das Unwichtige, es schirmt ab – um uns unmittelbar den Horizont zu eröffnen.” Versprochen wird in dieser schönen Theorie auch ein geschützter Eigenraum mit Aussicht auf unendliche Optionen. Dann wollen wir mal uns mal öffnen…
Überland statt überhand
Der Autor fühlt sich wie ein Hybrid. Er nimmt Überland gern seinen hocheffizienten Verbrenner, denn er entscheidet sich ganz gern spontan für längere Fahrstrecken. In der Stadt, häufig ebenso impulsiv, ist der Elektriker vom Carsharing ungeheuer praktisch. Der wilde Wechsel folgt einem Grundsatz: Den eigenen inneren Antrieb lassen sich Kolumnisten generell nicht gern vorschreiben. Autofahrer können, dürfen, wollen noch Individualisten sein. Fern jeglicher Ideologie, der Vernunft gehorchend (hoffentlich). Straßen eröffnen häufig neue Welten, manchmal auch direkt vor der Haustüre.
Lass‘ uns das Fluchtfahrzeug nehmen
Tatsächlich spielt die Sehnsucht nach der Rückmeldung der Straße eine große Rolle beim Unterwegssein. Beseelt auch durch eine kluge Auto-Autorin, die ins Fahrtenbuch schrieb: „Wie man Fortbewegung empfindet, ist eine Frage von Wahrnehmungsfähigkeit und Kenntnis, es sollten daran alle Sinne ebenso beteiligt sein ebenso wie der Verstand. Es bleibt dann immer noch genug jenseits des Rationalen.“ Autos sind Fluchtfahrzeuge. Jedenfalls, wenn man Zeit und Lust hat. Momente, die man niemand erklären muss, aber fühlen kann.
Immer der Nadel nach
Zurück zum Staunen, zum fort-bewegen, im tieferen Wortsinn. Der Startknopf formuliert die Liebeserklärung. Mal an die Umgebung, mal ans Fahren selbst. Endlich wieder spüren, warum nicht auch die Straße? Das kann dann schon mal ein paar Autobahnkilometer länger gehen als geplant. Die Tanknadel hält sich wacker, und nach Lektüre des Blogbeitrags über den Zustand der Ladesäulen im Fernverkehr sind wir auch ganz froh darüber, dass wir nicht ans Kabel müssen.
Hindernisse in der GTÜ-Hauptstadt
Städte sind, anders als Autobahnen mit ihrer klar definierten Spurbreite, kaum fassbar. Sie dehnen und pressen, ducken und öffnen sich. Die GTÜ-Hauptstadt Stuttgart mit ihrer Topografie ganz besonders. Zusätzlich ist für Autos ein täglicher Hindernisparcours aus Baustellen, Umleitungen, Parken in zweiter Reihe aufgebaut. Das macht beim besten guten Willen auch im E-Auto wenig Spaß. Im Sommer schon gar nicht, wenn wir uns angesichts des vom Vormieter hinterlassenen Batteriezustandes erst gar nicht an den Schalter für die Klimaanlage herantrauen. Aber grundsätzlich ist stromern in der Stadt sinnvoll, dafür würden wir sogar ein Stück unserer Autonomie aufgeben – irgendwann.
Tanzen oder rütteln?
Neil Diamond empfindet in seiner großartigen Großstadthymne “Beautiful Noise” die Choreographie des New Yorker Straßenverkehrs sogar als romantisch, sieht die Autos zum Takt der Lichter tanzen. Häufige Car-Sharer hierzulande frönen gern einem anderen musikalischen Spielchen nach der Anmiete: Immer das erste Lied auf dem Sender hören, den der Vormieter eingestellt hatte. Mit einer grundsätzlichen Ausnahme: Ballermann-Hits gelten als No-Go im Car-to-Go. Kürzlich kam es aber gar nicht so weit. Der Cinquecento sperrte sich hartnäckig, obwohl die App längst freie Fahrt signalisiert hatte. Die Hotline riet daraufhin: kräftig rütteln. Aber es rührte sich nichts. Kein Fahrspaß. Aber immerhin haben wir uns dabei selbst emotional aufgeladen, noch dazu völlig emissionsfrei.
Zwei Monde, zwei Welten
Vielleicht erscheint Ihnen diese Kolumne zu unentschieden. Das ist pure Absicht, denn der Fahrspaß besitzt seine ganz eigene Neutralität. Denn dieses Vergnügen ist keine Frage der Motorisierung, nur eine der Gelegenheit. Haruki Murakami lässt in seinen literarischen Meisterwerken auch zwei Monde erscheinen. Warum sollten wir also nicht in zwei Welten fahren können – und uns für das jeweils Beste entscheiden?