- 20. August 2025
- Einblicke & Chancen
- Reiner Schloz
Mit Hand und Fuß
Motorradfahrer sind weit höflicher als ihr Ruf – man muss die Zeichen nur verstehen
Irgendwo zwischen Mailand und Bellinzona kochte die Stimmung über. Ich saß an einer Raststätte auf dem Bordstein, riss mir den Helm vom Kopf und versuchte, mich nicht mehr wie ein gegrilltes Würstchen zu fühlen. Neben mir ertrug mein altes Mädchen die pralle Sonne und spuckte die letzten Geräusche aus der Luftkühlung. Schwer zu sagen, wer mehr mit der Hitze zu kämpfen hatte, ich oder dieses Prachtstück: meine Kawa VN 1500 Classic aus den Neunzigern, beige-aubergine mit einer Scheibe größer als ein Serviertablett. Die Gruppe älterer Herren, gerade aus dem Touristen-Bus geklettert und bewaffnet mit Nikons, redeten auf Japanisch auf mich ein. Sie wollten Fotos machen. Nicht von mir, nur von der Maschine. Aus ihren Blicken schloss ich: Die Kawa erinnerte sie an die guten alten Zeiten.
Verständigen über Hand und Fuß
Sowas passiert ja immer wieder, früher mit der Kawa, heute mit der weiß-blauen Indian Scout (ich steh auf zweifarbig). In Bebenhausen und in Barcelona, in Livigno und in Lissabon. Motorräder finden immer ihre Bewunderer. Solange sie stehen. Im Fahrbetrieb sind Mensch und Maschine weit weniger beliebt. Gerade hierzulande. Zu laut, zu schnell, zu rücksichtlos. Der Ruf ist ziemlich ramponiert. Das ist irgendwie nicht gerecht. Motorradfahrer verständigen sich über Hand und Fuß mit den anderen Verkehrsteilnehmern. Was können sie dafür, dass kaum ein Autofahrer die Zeichen des Respekts versteht? Ein mittleres Kommunikationsproblem sozusagen.
Das Biker-V und andere Zeichen
Es gibt einen ganzen Katalog von Hand und Armbewegungen, die jeder Turnstunde zur Ehre gereichen würde. Manche grenzen schon an Verrenkungen, dafür sind sie international und über jedes Sprachproblem erhaben. Nicht mal Donald Trump kann in diesem Punkt die Einigkeit zwischen Europa und den USA zerstören. Auf unzähligen Webseiten werden die 16 wichtigsten Zeichen erklärt. Am bekanntesten ist wohl der Biker-Gruß, der leicht abstehende, hängende linke Arm, die Hand zum Victory-Zeichen geformt. Es bedeutet soviel wie: „Halt deine zwei Räder auf der Straße. Gute Fahrt.“ Der Gruß soll in den 70-er Jahren vom ehemaligen Motorradrennfahrer Barry Sheene eingeführt worden sein. Nach einem Überholvorgang grüßte er so aus Respekt den abgehängten Konkurrenten.
Was soll uns das ausgestreckte Bein sagen?
Das vielleicht wichtigste Zeichen für Pkw-Insassen gibt der Biker aber mit dem Fuß. Er weiß, dass sich viele Autofahrer auf der Landstraße unwohl fühlen, wenn er sich von hinten anschleicht. Dann kreischt oder bollert es plötzlich ein wenig, die Ducati lässt den Kettenantrieb rasseln. Kein Grund nervös zu werden: Maschine und Mann wollen nur vorbei. Ist das Überholmanöver beendet, streckt der Biker das rechte Bein sichtbar aus. Liebe Autofahrer, dabei handelt sich weder um eine Verhöhnung, noch um Kontrollverlust, noch um den Versuch, einen drohenden Krampf abzuwenden. Das ausgestreckte Bein heißt schlicht: Danke fürs Vorbeilassen! Denn Motorradfahrer sind nette Menschen, die beim Überholen ihre Hände lieber am Lenker lassen. Machen Sie ruhig ein Foto davon – beim nächsten Stopp, wenn die Maschine steht.