- 19. Oktober 2022
- Einblicke & Chancen
- Elmar Brümmer
Made in China auf Rädern
Die Marken aus Fernost sind angekommen bei den GTÜ-Partnern.
Irgendetwas ist anders an dem Auto, auch wenn es immer noch Smart heißt. Nicht nur, dass der ehemals ganz Kleine von Mercedes jetzt nur noch mit Ladekabel kommt und er künftig den Hashtag #1 als Modellbezeichnung tragen soll. Der Smart gibt als Heimatadresse zwar immer noch die Gegend von Stuttgart an, aber in Wirklichkeit ist er ein halber Chinese – 50 Prozent des Unternehmens sind an den Geely-Konzern übergegangen. So sitzt der andere, bestimmende Teil der Firma in der ostchinesischen Küstenstadt Ningbo. Deren Name bedeutet so viel wie „ruhige Welle“.
Ein Auto, das wie die Chinesische Mauer heißt
Von wegen. Es ist eher eine Sturmflut, die auch über den deutschen Automarkt hereinbricht. China hat nicht nur von den Produktionszahlen her enorm gegenüber den traditionellen Auto-Nationen aufgeholt. Die Marken aus dem Reich der Mitte drängen nun auch massiv auf die Absatzmärkte in aller Welt. Damit kommen auch immer mehr chinesische Fahrzeuge bei den GTÜ-Partnern an – zur Prüfung und in den Werkstätten. Wir werden uns an Markennamen wie Aiways, Maxus, Seres, Ora, XPeng oder Dongfeng gewöhnen (müssen). Am eindeutigsten ist die Herkunft wohl bei Great Wall Motors.
Peking erkennt früh die Macht der Konnektivität
Die Umstellung auf die E-Mobilität wird China noch mächtiger machen, von dort kommen heute 75 Prozent aller Batterien. Auch das Quasi-Monopol auf die speziellen Rohstoffe hat sich die Nation gesichert. Bei so viel Basis ist es klar, dass China nun auch beim Endprodukt Auto kräftig mitverdienen will. In Peking wurde früh erkannt, dass die Verbindung der Mobilfunktechnik 5G mit den E-Autos ein Schlüssel zur Eroberung der Automobilindustrie ist. Eine Wette auf die Zukunft, die aufzugehen scheint. 21 Millionen neue Autos sind im vergangenen Jahr in China auf den Markt gekommen, in Europa waren es 12 Millionen, in Deutschland 2,6 Millionen.
Gedacht und gebaut wird von der Batterie her
Der Traum wird umgekehrt gedacht als bislang üblich – von der Batterie her. Und so sehen wir plötzlich in Europa ungewohnte Fahrzeugfronten wie bei den vom Batterieproduzenten BYD entwickelten Limousinen – sie sollen an einen Drachenschnurrbart erinnern. Der große Anspruch entspricht ganz dem Namen der Drei-Buchstaben-Firma aus Shenzen, BYD steht für „Build your dreams“. Andere Designer haben die Heckleuchten so gestaltet, dass sie die Struktur chinesischer Knoten imitieren. Made in China auf Rädern, das bedeutet auch, dass die Gestaltung und die Qualität stimmen müssen. Lifestyle auf Rädern, dass soll den Pionier Tesla zunehmend alt aussehen lassen. Das Vorurteil, Chinas Autos seien nur billige Kopien, ist längst nicht mehr haltbar.
„Die Revolution des Bewegens“
Autovermieter Sixt setzt ebenfalls auf den größten E-Auto-Hersteller der Welt, und will in den nächsten Jahren 100.000 Fahrzeuge von BYD kaufen, mehrere Tausend davon sollen schon bald erhältlich sein. Bei diesem Liefertempo tun sich einheimische Autobauer schwer. Schon warnen Branchenverbände, aber auch Politiker vor einer neuen Abhängigkeit. FAZ-Korrespondent Frank Sieren hat die chinesischen Technologiekonzerne ausgiebig analysiert und bringt den Wandel auf den Punkt: „Die Revolution des Bewegens“.
Wie von Zauberhand wechselt der NIO die Batterie
Mit NIO ist jetzt auch einer der chinesischen Pioniere hierzulande angetreten, und will selbstbewusst gleich Nachhilfe geben: „Entdecke Deutschlands Horizonte“. Das Unternehmen des Milliardärs William Li setzt dabei auf bayrisches Knowhow und hat seine Technik und sein Design in München stationiert. Die Mitarbeiter kommen zwar aus 29 Nationen, aber vor allem sind es natürlich ehemalige BMW-Experten, die jetzt an einer neuen Zukunft arbeiten. Sagenumwoben ist ein technischer Zaubertrick von NIO, bei dem die Batterien in kurzer Zeit vollautomatisch komplett getauscht werden. Mit leerem Akku in eine Art großen Kasten rein rollen, nach ein paar Minuten im grünen Bereich wieder raus. Die ersten Serviceparks dieser Art entstehen bereits entlang der deutschen Autobahnen.
Autos im Abo wie Filme bei Netflix
Auch die Rahmenbedingungen werden von den Chinesen verändert. Die Autos von NIO lassen sich per App bestellen. Die ehemalige Volvo-Marke Polestar verkauft in schicken Innenstadtlounges statt im herkömmlichen Autohaus. Lynk spricht längst von Usern, nicht mehr von Fahrern, die sie dann auch konsequent duzt. Die Geschäftsidee, in dieser Reihenfolge, lautet: Abonniere, kaufe, leihe. Abgerechnet wird monatlich, wie bei einem Netflix-Abo. Wer mehr im und um das Auto haben will, kann sich das nach dem Motto „Hol Dir soviel Auto wie Du willst“ dazu buchen.
Gekommen, um zu bleiben
Das Tempo der chinesischen Hersteller ist nicht nur bei Vermarktung und Technik enorm hoch, selbst wenn einige bis vor wenigen Jahren noch auf den Bau von Motorrädern oder Landwirtschaftsmaschinen spezialisiert waren. Die jungen Unternehmen lernen schnell dazu, gerade auch bei Sicherheitsthemen. Alte Vorurteile greifen nicht mehr. Mit der Qualität wächst das Selbstbewusstsein. Die „Wirtschaftswoche“ vermeldet daher: „Chinas Autobauer fühlen sich in Deutschland wie zuhause.“ Sie sind gekommen, um zu bleiben.