Wie Kai aus der Kiste

GTÜ Classic erinnert an den Talbot Sunbeam Lotus

Ein echter europäischer Klassiker (Fotos. Schloz)

Die Experten der zentralen Klassikabteilung der GTÜ in Stuttgart und vor Ort besitzen die notwendige Expertise für Klassiker aller Art. Sie greifen auf fundiertes Wissen und eine umfangreiche, qualifizierte Datenbank zurück. In loser Folge veröffentlicht das Magazin KRAFTHAND exklusive Einblicke ins Archiv der Sachverständigenorganisation. Diesmal geht es um den Talbot Sunbeam Lotus.

Eine europäische Geschichte

Brescia – Helsinki – Stuttgart. Das klingt wie die Kladde einer irren Rallye mit entsprechender Materialschlacht. Es handelt sich aber um die auf mehr als 40 Jahre verteilten (Über-)Lebensstationen eines Talbot Sunbeam Lotus. Der Name ist so sperrig wie das Fahrzeug. Eine eckige Kiste, deren Karosserie nichts von der Eleganz verströmt, die man sonst von Sportwagen im Classic-Alter kennt. Und dieser Talbot Sunbeam Lotus sieht schon gar nicht so aus, als hätte einer seiner gut präpartierten Brüder mal die Rallye-Weltmeisterschaft gewonnen. Hat er aber, nämlich 1980.

Unterwegs mit Liebhabern

Dieser hier hat eher ein ruhiges, von Liebhabern gepflegtes Dasein hinter sich, wie schon der Kilometerstand von rund 30.000 vermuten lässt. Seinen ersten Besitzer fand er 1980 in Brescia, 2003 wechselte er nach Helsinki über. Wie und warum, ist nicht bekannt, weil die offiziellen Papiere des italienischen „Ministero dei Trasporti“ keine Geschichten erzählen. In seiner Odyssee nach Deutschland 2016 steckt schon mehr Leben.

Digital entdeckt, analog gefahren

Der Interessent aus dem Schwabenland fand das Fahrzeug im Internet. Auf ein paar Telefonate mit Helsinki folgte ein persönliches Treffen auf der Techno Classica in Essen. Der Finne entpuppte sich als Händler klassischer Ferrari, der – ein Gefallen für seinen Nachbarn – den Sonderling in sein Portfolio aufgenommen hatte. Nach dem Flug nach Helsinki (vorsichtshalber mit Retourticket) wurde man sich schnell einig. Zurück ging es also nicht im Flieger, sondern im alten, neuen Auto. Erst 25 Stunden mit der Fähre von Helsinki nach Travemünde, und von dort die restlichen 750 Kilometer auf Asphalt nach Stuttgart.

Aufschwung oder Untergang?

Ein großer Aufwand für ein Fahrzeug, bei dem nur schwer zu unterscheiden ist, ob es für britische Automobilkunst steht oder eher für deren Untergang. Der Talbot Sunbeam Lotus hat viele Väter, ist aber auf jeden Fall ein Schotte, in weiten Teilen produziert in Linwood. Die Regierung motivierte Mitte der 70er Jahre die maroden britischen Chrysler-Fabriken mit 55 Millionen Pfund (rund 220 Millionen Mark), möglichst schnell einen erfolgversprechenden Kleinwagen zu entwickeln. 1977 wurde der Chrysler Sunbeam vorgestellt, ein Kompaktwagen, der an den Golf 1 erinnerte und in mehreren Motorvarianten angeboten wurde. Das stärkste Aggregat brachte es mit 1,6 Liter Hubraum auf 100 PS.

Ein Name wird wiederbelebt

Dass daraus wie Kai aus der Kiste ein Geschoss wurde, lag an Chrysler Sportchef Desmond O’Dell. Der Ire wollte zur Imageverbesserung zurück in den Rallye-Sport. Chrysler wurde 1978 an PSA verkauft. Simca, ebenfalls PSA, hatte die Modellbezeichnung Talbot fast 20 Jahre nicht mehr benutzt, weshalb aus dem Chrysler Sunbeam der Talbot Sunbeam wurde. O’Dell verfolgte seine Idee weiter, machte sich auf die Suche nach passenden Motoren und fand sie bei Lotus.

Rallye und Radau

Das 2,2 Liter-Aggregat aus dem Elan wurde nur von 162 PS auf 150 PS gedrosselt. Sonst hätte das Leichtgewicht (930 kg) bessere Leistungswerte erzielt als der Elan. Und das wollte Lotus nicht. Der Talbot Sunbeam Lotus machte mit seinem ZF-Fünfganggetriebe mächtig Radau, sorgte auf den Straßen für Aufsehen und bildete die Basis für eine erfolgreiche Karriere der 240 PS starken Rallye-Version. Zwei Jahre lang unterhielt O’Dell ein eigenes Werksteam, aber selbst der Gewinn der Rallye-WM 1980 konnte nichts retten. 1981 wurde die Produktion der heißen Kiste nach 2.308 Exemplaren eingestellt und gleichzeitig das Werk in Linwood geschlossen. Aus und vorbei.

Anstrengend, aber wertvoll

Was bleibt, ist dieses Auto, unter Spezialisten heiß begehrt und heute in Euro knapp doppelt so viel wert als zum Produktionsende 1981. Damals war er für 22.500 Deutsche Mark zu haben. Wer Komfort liebt, sollte die Finger vom Talbot Sunbeam Lotus lassen. Rangieren ohne Servolenkung erfordert Schwerstarbeit. Der erste, rallyemäßig sehr kurz übersetzte Gang sitzt ungewohnt hinten links außerhalb des H-Schemas. Zudem erfordert der Frontmotor mit Heckantrieb fahrerisches Können.

Spartanisch wie im Rallye-Auto

Die Sache mit den Zeigern

Überraschend ziert das Interieur eine Jaeger-Uhr, damals ein Produkt der Automobilsparte der Luxus-Uhren-Manufaktur Jaeger-LeCoultre. Das wirkt hier innen ungefähr so, als würde man im Smoking ins Fußballstadion gehen. Dem Fahrspaß schadet es nicht. Denn kommt der Talbot Sunbeam Lotus auf Touren – und das kommt er heute noch schnell – dann geht’s ab…

Sieht nicht so aus, aber stammt vom Nobel-Uhrmacher

Die schützende Hand der Göttin

GTÜ Classic erinnert an den Citroen DS.

Citroen DS 21 Cabriolet, Baujahr 1968 (Fotos: Citroen Deutschland GmbH)

Die Experten der zentralen Klassikabteilung der GTÜ in Stuttgart und vor Ort besitzen die notwendige Expertise für Klassiker aller Art. Sie greifen auf fundiertes Wissen und eine umfangreiche, qualifizierte Datenbank zurück. In loser Folge veröffentlicht das Magazin KRAFTHAND exklusive Einblicke ins Archiv der Sachverständigenorganisation. Diesmal geht es um den Citroen DS, einem Auto, das seiner Zeit weit voraus war.

Es beginnt mit einem Attentat

Es ist früh am Abend an diesem 22. August 1962. Frankreichs Präsident General Charles de Gaulle zieht es in die Sommerfrische. Der kleine Konvoi aus zwei Citroen DS und zwei Polizei-Motorrädern macht sich auf den Weg Richtung Süden. Auf dem Militärflugplatz Villacoublay wartet ein Hubschrauber, der den Präsidenten in sein Landhaus bringen soll. Neben ihm sitzen Ehefrau Yvonne, sein Schwiegersohn und der Fahrer im Wagen. Auf der Rue nationale 306 bei Petit-Clamart liegen zwölf ehemalige Soldaten mit automatischen Waffen auf der Lauer.

Die Legende lebt

Anführer Oberstleutnant Jean Bastien-Thiry gibt um 20.08 Uhr den Befehl zu feuern. Es fallen 187 Schüsse. De Gaulles ungepanzerte DS fängt sich 14 Kugeln ein. Die Vorderreifen sind zerschossen. Doch dank der Hydropneumatik des Citroen behält der Chauffeur die Kontrolle über den Wagen und entkommt. Am Flugplatz angekommen, sagt De Gaulle: „Diesmal war es knapp.“  Es ist ein Attentat, das Frankreich schockiert. Und ein Attentat, das der Legende um ein Fahrzeug neue Nahrung gibt. Der Citroen DS, Inbegriff französischer Ingenieurskunst und der Stolz einer ganzen Nation, kann also auch das: Leben retten.

Ein Wunderwerk des Designs

Für Aufsehen hatte die DS ja immer gesorgt. Vom ersten Tag an. Schon bei der Premiere auf dem Pariser Automobilsalon am 1. Oktober 1955 bildeten sich im Grand Palais Menschentrauben. Citroen präsentierte sein neues Modell. Aber da stand kein Auto, sondern ein faszinierend windschnittiges Etwas, eher ein Raumschiff auf vier Rädern, die auch noch mit einem Innensechskant-Zentralverschluss mit den Achsen verbunden waren. Dazu eine Schaltung an der Lenksäule und ein Lenkrad, das mit nur einer bananenförmigen Speiche ausgestattet war. Ein Wunderwerk modernen Designs, dass die Zukunft des Automobils einläuten sollte.

Citroen DS vor dem Eiffelturm in Paris.

Die Allianz aus Luft und Wasser

Der Legende nach sollen bereits am ersten Messetag 80.000 Kaufaufträge eingegangen sein. Denn zur Optik gesellte sich die völlig neue Technik. In der DS herrschte dicke Luft. Die sogenannte Hydropneumatik – laut Werbung eine „Allianz zwischen Luft und Wasser“ – bestimmte das ganze Innenleben: Federung, Bremsen, Fahrwerk und Schaltung erreichten eine neue Komfortzone. Je nach Beladung oder Straßenbeschaffenheit konnte die Bodenfreiheit manuell von neun auf bis zu 28 Zentimeter angehoben werden.

Ehre, wem Ehre gebührt

Die geniale Konstruktion verantworteten Ingenieur André Lefèvre und Flaminio Bertoni, ein begabter Zeichner, Bildhauer und Designer aus Italien. Die Väter der DS schafften eine bis dahin noch nicht gekannte Harmonie zwischen Form und Technik. Und weil DS im französischen genauso ausgesprochen wird wie „la déesse“, die Göttin, hatte das Fahrzeug schnell seinen Spitznamen, der eher eine Ehrenbekundung war.

Licht in der Kurve

Der internationale Siegeszug der Göttin war nicht aufzuhalten, auch weil die Franzosen den technischen Vorsprung, den sie auf einen Schlag herausgearbeitet hatten, nicht so schnell aufgeben wollten. Im Lauf der Jahre wurde das Fahrzeug immer wieder leicht modifiziert – zum Beispiel schon damals mit einem beweglichen Kurvenlicht –, aber der ursprüngliche Charme blieb erhalten. Es gab verschiedene Motorvarianten von 1,9 Liter (43 kW) bis zu 2,3 Liter (93 kW). Es gab Luxus-Ausführungen (Pallas), die DS für die breite Masse, es gab Cabrios, Kombis und nützliche Umbauten (Krankenwagen).

Eine charmante Begleiterin

Die DS erfüllte alle Anforderungen an eine repräsentative Staatskarosse und verströmte den Charme eines großen Filmstars an der Seite von Louis de Funes, Jean Marais, Jean-Paul Belmondo, Uma Thurman, Leonardo di Caprio oder „Mentalist“ Simon Baker. Und Sie konnte die Muskeln spielen lassen, wie unter anderem Siege bei der Rallye Monte Carlo oder Lüttich-Sofia-Lüttich beweisen. Aber vor allem war sie weltweit begehrt und beliebt. Und die Göttin, die ihre schützende Hand über de Gaulle gehalten hatte. Nach 1.455.746 Fahrzeugen wurde die Produktion am 24. April 1975 eingestellt. Bis heute ist Citroen auf der Suche nach dem alten Glanz. DS ist inzwischen eine eigene Marke für die Citroen Luxus-Modelle.

Fast wie im richtigen Rennen

GTÜ Classic erinnert an den Renault Alpine A110.

Foto: david-bgn – stock.adobe.com

Die Experten der zentralen Klassikabteilung der GTÜ in Stuttgart und vor Ort besitzen die notwendige Expertise für Klassiker aller Art. Sie greifen auf fundiertes Wissen und eine umfangreiche, qualifizierte Datenbank zurück. In loser Folge veröffentlicht das Magazin KRAFTHAND exklusive Einblicke ins Archiv der Sachverständigenorganisation. Diesmal geht es um den Renault Alpine A 110, der eigentlich als Wettbewerbsfahrzeug gedacht war und dennoch auf öffentlichen Straßen eine gute Figur machte.

Das französische Rezept für den Sport

Leistung allein macht noch keinen Sportwagen. Jede ungelenke Kiste wird ja heutzutage mit PS gemästet. Richtige Sportwagen sind anders. Puristisch, filigran, wendig, oftmals eigenwillig und im besten Fall von zeitloser Eleganz, die einen auch noch nach über 50 Jahren den Atem anhalten lässt. So wie bei diesem Renault Alpine A110. Die Front in Kombination mit der geduckten Haltung der Alpine sendet deutliche Signale: eine Raubkatze, bereit zum Sprung.

Flunder auf Asphalt

Vom Asphalt bis zur Dachkante misst die flache Flunder gerade mal 1,13 Meter. Ein Maß, das bereits vor der Fahrt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Sportwagen erfordert. Zum Beispiel beim Einsteigen. Wer sich mit seinen vier Buchstaben zuerst auf den Sitz zwängt, hat schon verloren. Ratsam ist, dem Sinn der Alpine entsprechend, mit dem Gasfuß voraus das Innere zu erobern, dann den Kopf einzuziehen und zu hoffen, dass man in dieser mehr oder weniger fließenden Bewegung verletzungsfrei bleibt.

Sieg bei der Rallye Monte Carlo

Warum sich die Gymnastik lohnt? „Auf dem Schnee musste man das Auto wirklich um die Ecken werfen, damit es reagiert, aber auf trockenem Asphalt lenkte es sich unglaublich gut. Als Fahrer war die Alpine das beste Auto für mich und es war unglaublich, die Monte darin zu gewinnen.“ Das sagte die schwedische Rallye-Legende Ove Andersson, nachdem er 1971 mit dem Alpine die Rallye Monte Carlo gewonnen hatte. So ein Auto ist der A110, also jede Mühe wert.

So kam Renault zu Alpine

Verantwortlich für dieses Schmuckstück ist Jean Rédélé, Gründer und Eigentümer der Sportwagenschmiede Alpine. Nachdem Rédélé die Renault-Vertretung seines Vaters in Paris übernommen hatte, wollte er mit dem großen Automobilhersteller ins Geschäft kommen. Renault hatte null Interesse. Das änderte sich nach den ersten Erfolgsmeldungen von verschiedenen Rallyestrecken. Renault begann, Alpine im Motorsport zu unterstützen, ab 1965 konnten die Modelle über Renault-Händler erworben werden, der offizielle Name „Renault Alpine“ tauchte erstmals 1967 auf. Erst in den 70er Jahren begann Renault, den kleinen Sportwagenbauer schrittweise zu übernehmen.   

Die Hausfarbe: ein schillerndes Blaumetallic

Rédélé suchte sich seine Verbündeten nicht nur in Frankreich, sondern in der ganzen Welt. In Lizenz wurde der A110 auch in Bulgarien, Mexico und Spanien gebaut. Wie viele Fahrzeuge es zwischen 1961 und 1977 tatsächlich waren, lässt sich nur schwer sagen. Allein in Frankreich sollen es 7.500 gewesen sein. Ihr Markenzeichen: Neben den zwei Siegen bei der Rallye Monte Carlo (1971, 1973) die vollständige Kunststoffkarosserie und die Wagenfarbe Blaumetallic.

Das französische Rezept für den Sport

Dieser Alpine ist ein F.A.S.A A110, also aus spanischer Produktion und 1973 gefertigt. Seine 100 PS zieht er aus einem im Heck sitzenden 1,4 Liter großen Vierzylinder mit 40er Weber-Doppelvergaser. Die Höchstgeschwindigkeit des Leichtgewichts (740 kg) liegt deutlich jenseits der 200 km/h. Motoren für die Alpine gab es im Lauf der Jahre in unterschiedlicher Größe und Stärke, der populärste ist wohl der 1600 S mit 138 PS. Allerdings reicht auch das 100 PS starke Aggregat, um ein echtes Alpine-Feeling zu bekommen. Das liegt nicht nur am kraftvollen Heckantrieb, der sich dank eines Fünf-Gang-Getriebes gut einsetzen lässt. Der Fahrer sitzt extrem tief. Deutlich spürbar, dass der A110 eher als Wettbewerbsfahrzeug denn als komfortabler Reisebegleiter gedacht war. Jede Fahrt ist irgendwie ein Rennen.

Vater und Sohn

So pflegt Renault bis heute den Alpine-Mythos, auch das Formel-1-Team ist so benannt. Rédélé selbst entwickelte noch den kantigen Nachfolger. Beim Renault Alpine A310 wurde mehr Wert auf Komfort gelegt, er kam kaum im Motorsport zum Einsatz und fuhr nie aus dem Schatten seines Vorgängers. Alpine, die Sportwagenmarke von Renault, bietet wohl auch deshalb heute nur ein einziges Modell an: den neuen A110. Seit 2017 wird er in einer sehr gelungen Retro-Optik gebaut. Wer Alt und Jung nebeneinanderstellt, sieht Vater und Sohn. So ähnlich sind sich die beiden. Eigentlich nur konsequent. So ist der A110 heute, was er bereits in den 60er Jahren war: ein moderner Sportwagen.